18. November 2022, Berlin
Wir sind zurzeit dabei, das alte Zimmer der Tochter in ein Büro für mich zu verwandeln. Irgendwie ein bisschen traurig, einen Raum, in dem gespielt, gebastelt und Musik gehört wurde, in einen Ort zu verwandeln, in dem du arbeiten musst. Außerdem führt dir diese Zimmertransformation schonungslos vor Augen, dass deine Kinder groß werden und du selbst alt wirst.
Andererseits stehen dann mein Schreibtisch, meine Ordner, der Drucker und all das Gerümpel, das sich so in einem Arbeitszimmer ansammelt, nicht länger in unserem Schlafzimmer rum. Das erhöht die persönliche Wohn- und Schlafqualität doch um einiges. Allerdings muss ich das Zimmer vorher noch streichen. Das senkt meine persönliche Lebensqualität wiederum erheblich.
Die für die Streichaktion notwendige Farbe kaufe ich ganz im Sinne des „support your local everything“ in dem Malereifachgeschäft bei uns in der Nachbarschaft. Nachdem ich mein Anliegen geschildert habe, beweist der Ladenbesitzer, dass er gleichermaßen über Fachkompetenz, Menschenkenntnis und Verkaufstalent verfügt. Er empfiehlt mir eine recht teure Marke. Mit dieser erzielten auch Leute, die nur sehr selten streichen und Angst hätten, ob sie das richtig hinbekämen, gute Ergebnisse. Ich schlage sofort zu.
19. November 2022, Berlin
Zum Streichen des Ex-Kinder-und-Arbeitszimmer-in-spe ziehe ich meine „Arbeitshose“ an. Wie wahrscheinlich bei den meisten Menschen, die ihr Geld am Schreibtisch verdienen und in ihrer Freizeit größtmöglichen Abstand von handwerklichen Tätigkeiten halten, handelt es sich nicht um ein professionelles Arbeitskleidungsstück, sondern einfach um eine ausrangierte Hose, bei der es egal ist, wenn sie schmutzig wird.
Die Hose führte jahrelang ein unbeschwertes Leben in der hintersten Ecke des Kleiderschrankes. Weil wir im Januar schon das Zimmer des Sohns renovierten, trage ich sie dieses Jahr aber bereits zum zweiten Mal. Wahrscheinlich steht sie kurz vorm Burn-out.
20. November 2022, Berlin
Inspiziere morgens das Streichergebnis. Der Mann aus dem Malereifachgeschäft hatte recht. Mit der Farbe kannst du auch als unroutinierter Maler gute Ergebnisse erzielen. Zumindest an den Stellen, an denen du sie aufgetragen hast. Die anderen muss ich heute früh noch einmal nachstreichen. Meine Arbeitshose wimmert leise auf, als ich sei schon wieder anziehe.
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Nach der ganzen Handwerkerei – wenn man das, was ich da gestern und heute veranstaltet habe, so bezeichnen will –, widme ich mich heute einer hauswirtschaftlichen Tätigkeit: Ich backe Stollen. Damit bin ich eigentlich eine Woche zu spät dran. Stollen soll nämlich sechs Wochen vor Weihnachten gebacken werden. Dann kann er richtig durchziehen. Da wir unseren Stollen aber sowieso immer schon nach ein paar Tagen anschneiden, ist es egal, wann ich ihn backe.
Ursprünglich war der Stollen übrigens eine Fastenspeise, die aus Wasser, Hafer und Öl hergestellt wurde. Recht schnell fiel den Menschen aber auf, dass diese Hafer-Öl-Kreation geschmacklich kein Burner war. Daher beschlossen sie, das mit der Fasterei nicht zu übertreiben, und hauten ordentlich Zucker, Eier, Marzipan und in den Teig. Damit der Stollen nicht zu lecker wird, kam irgendein krankes Hirn noch auf die Idee, Zitronat und Orangeat beizumischen. Beides Abfallprodukte, die bei der Herstellung von Autoreifen entstehen, und die mit Zitronen und Orangen soviel zu tun haben, wie Meeresfrüchte mit Obst und Gemüse oder Kichererbsen mit Gelächter.
Mit dem Stollenbacken ist für mich die Weihnachtsbäckerei und damit die Weihnachtsmusik-Saison eröffnet. Einerseits ist meine Frau darüber erleichtert, denn in den letzten Wochen lief bei mir in Vorbereitung auf den 11.11. meine Karnevals-Playlist in Dauerschleife. Andererseits höre ich nun non-stop Feliz Navidad, Silent Night, We wish you a merry Christmas und Co. Für meine Frau ist das wie von der Traufe in den Regen zu kommen, sich zwischen Pest und Cholera entscheiden müssen oder den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Wobei der Beelzebub nach dem 138. „Last Christmas“ wahrscheinlich schnell Reißaus nehmen würde.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
wie heißt die Farbe? (Frage für einen Freund)
Gruß
Andi
Das war Caparol. Das Ergebnis war aber nicht so toll. Das Problem war wahrscheinlich am Ende des Pinsels angesiedelt.
Ähm…nee, das kann gar nicht sein. Sollte ja eben für handwerkliche Laien wir uns, äh ich meinte natürlich für meinen Freund und dich sein.
Ok, aber auch ein negatives Ergebnis hat seine Vorteile (für mich). Ich weiß, was ich im Zweifelsfall nicht kaufe.
Gruß
Andi