Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
13. November 2023, Berlin
Für den Sohn ist heute ein schlechter und guter Tag zugleich. Schlecht, weil er Mathe schreiben muss. Aber trotzdem gut, weil es die letzte seines Lebens ist.
Für seine Mathelehrerin ist es ebenfalls ein guter Tag: Sie muss nie wieder eine Arbeit von ihm korrigieren.
14. November 2023, Berlin
6 Grad und leichter Nieselregen. Mittlerweile ist es zu kalt und ungemütlich, um in kurzen Hosen laufen zu gehen. Eine Erkenntnis, zu der ich leider erst gelange, nachdem ich losgelaufen bin.
15. November 2023, Berlin
Als Kinder der 70er besitzen meine Frau und ich immer noch ein Sparbuch. Die wahrscheinlich schlechteste Anlageform für Erspartes. Unwesentlich besser, als das Geld unter der Matratze zu lagern.
Jüngere Leser*innen fragen sich jetzt vielleicht: „Sparbuch? Was ist das?“ In meiner kindlichen Finanz-Sozialisation war es üblich, dass ich als kleiner Junge am Weltspartag gemeinsam mit meinen Eltern zur örtlichen Sparkasse ging, um mein in den letzten zwölf Monaten angespartes Geld einzuzahlen.
Dazu leerte ein Sparkassen-Angestellter den Inhalt meiner Spardose in eine Geldzählmaschine, diese ratterte ein wenig vor sich hin, bis sie schließlich in roten Digitalziffern einen Betrag anzeigte. Der wurde dann in mein Sparbuch eingetragen plus Zinsen für das abgelaufene Jahr. Anschließend gab es noch irgendein Plastik-Schrott-Spielzeug sowie die neueste Ausgabe des KNAX-Magazins.
Inzwischen werden meine Frau und ich nicht mehr zum Weltspartag mit Geschenken überhäuft, haben aber trotzdem immer noch ein Sparbuch. Darauf liegt unser Notgroschen. Falls wir beide gleichzeitig arbeitslos werden, um ungefähr drei Monate überbrücken zu können. Oder ein Haushaltsgroßgerät neu angeschafft werden muss. Oder unser Auto, das wir nicht besitzen, repariert werden muss.
Wir sind glücklicherweise in der privilegierten Position, uns im Alltag um Geld keine Gedanken machen zu müssen. Deswegen bin ich für gewöhnlich zu faul, um für unser Erspartes nach den erfolgversprechendsten Anlagemöglichkeiten zu suchen. Allerdings stellte ich kürzlich fest, dass wir im letzten Jahr ganze dreizehn Cent Zinsen auf unser Sparbuch-Guthaben bekommen hatten. Nicht weil das nur zehn Euro sind, sondern weil der Zinssatz erst bei der dritten Nachkommastelle anfing.
Somit dachte ich, dass es doch mal an der Zeit wäre, sich nach lukrativeren Konditionen für unseren Notgroschen umzuschauen. Gleichzeitig ist es aber mein Bestreben, unser Geld möglichst sozialverträglich und klimaunschädlich zu investieren. Was gar nicht so einfach ist, wenn du geizig bist und keine Kontoführungsgebühren bezahlen möchtest.
Gänzlich vorbei mit meinem Finanz-Gutmenschentum war es, als ich ein Commerzbank-Angebot mit 3,75 Prozent Zinsen entdeckte. Das ist ein 1.875-fach höherer Zinssatz als auf unserem Postbank-Sparbuch. 1.875 Gründe, die mich davon überzeugten, ein Tagesgeldkonto bei der Commerzbank zu beantragen.
Damit die Commerzbank weiß, dass ich der bin, der ich bin, und das Tagesgeldkonto eröffnet, muss ich zur Postbank und ein Postident-Verfahren durchführen lassen. Fühlt sich ein bisschen an, als würdest du dir von deiner Frau eine Bescheinigung ausstellen lassen, dass du fremd gehen darfst.
Wobei es eher eine Scheidung ist, denn ich will außerdem Geld von unserem Sparbuch abheben und es dann auflösen. Meine Erfahrungen mit der Postbank haben mich gelehrt, dass das mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit nicht reibungslos und zügig ablaufen wird. Sicherheitshalber sage ich alle Termine für den Rest des Tages ab. Und den Rest der Woche. Und gleich bis zum Ende des Jahres.
Als ich die Postbank betrete, ist zwar nur ein Schalter geöffnet, aber zum Glück ist nur ein Mann vor mir dran. Er gibt sein Paket auf und schon bin ich an der Reihe. Die Frau hinter dem Schalter sieht aus, als hätte sie schon bei der Post gearbeitet, als es noch keine Postbank gab und Pakete noch mit der Kutsche ausgeliefert wurden.
Das Postident-Verfahren geht erfreulich schnell vonstatten. Was auch daran liegt, dass die Frau lediglich einen QR-Code einscannen und ein Formular ausdrucken muss, das ich dann zu unterschreiben habe. In der Schlange hinter mir stehen zwei Personen.
Als nächstes will ich unser Sparbuch auflösen. Die Frau belehrt mich, dass ich dafür Vorschusszinsen zahlen müsste. Ich willige trotzdem ein. Angesichts unserer dreizehn Cent Guthabenzinsen vom letzten Jahr können die Vorschusszinsen nicht allzu hoch sein. Wobei es mich bei einer Bank nicht wundern würde, wenn sie dafür die Hälfte deines Guthabens verlangen. Eine weitere Person hat sich in die Warteschlange eingereiht.
Bevor das Sparbuch aufgelöst werden kann, muss es noch auf den letzten Stand gebracht werden. Das letzte Mal war ich 2013 mit dem Sparbuch auf der Bank. Das bedeutet, es müssen Zinsgutschriften der letzten zehn Jahre nachgetragen werden. Und die abgeführten Kapitalertragsteuern ebenfalls. Cent für Cent.
Die Frau muss für jedes Jahr einen Aufkleber ausdrucken, den sie dann umständlich in das Sparbuch klebt. Die Warteschlange ist auf 18 Personen angewachsen, die alle über eine begrenzte Frustrationstoleranz verfügen.
Nun bereitet die Frau das Kündigungsformular vor. Dazu muss sie Informationen von meinem Personalausweis abtippen. Und von meiner EC-Karte. Es sind insgesamt sehr viele Zahlen und sie tippt sehr langsam. Die Wartenden in der Schlange, es sind inzwischen 25, werden allmählich unruhig.
Als ich das Formular unterschrieben habe, denke ich, dass ich nun endlich gehen kann. Kann ich aber nicht. Jetzt muss noch geklärt werden, auf welches Konto das Guthaben des aufgelösten Sparbuchs überwiesen werden soll. Dafür tippt die Frau die gleichen Informationen des Kündigungsformulars noch einmal in den Computer ein. Es sind immer noch sehr viele Zahlen und sie tippt immer noch sehr langsam. Die Stimmung in der Warteschlange, die mittlerweile bis vor die Tür reicht, ist mit gereizt nur unzureichend beschrieben.
Nachdem ich die Überweisung auf dem Touch-Pad bestätigt habe, schneidet die Frau die Ecken des Sparbuchs ab, damit an dessen Auflösung kein Zweifel besteht. Dann darf ich tatsächlich gehen. In einer Art Spießrutenlauf an den Wartenden vorbei verlasse ich die Bank.
16. November 2023, Berlin
Es ist immer noch zu kalt und ungemütlich, um in kurzen Hosen laufen zu gehen. Eine Erkenntnis, zu der ich leider wieder erst gelange, nachdem ich losgelaufen bin. Meine Angemessene-Klamotten-beim-Laufen-im-November-Lernkurve ist erstaunlich flach.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)