Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
21. November 2022, Berlin
Montage zählen gemeinhin nicht zu den beliebtesten Wochentagen. Das müßiggängerische Wochenende liegt hinter und die Woche voller Arbeit oder Schule vor einem. (Bei Lehrer*innen beides.) Den Sohn hat es besonders schlimm erwischt. Er muss diese Woche drei Klausuren schreiben. Heute ist Chemie dran. Er hat mir sogar gesagt, zu welchem Thema, aber ich habe es sofort vergessen.
Chemie war in der Schule mein mit Abstand schlechtestes Fach. Während meiner Schulzeit habe ich insgesamt zwei Sechsen geschrieben. Eine davon im Chemie-Halbjahrestest in der 10. Klasse. Aus Rücksichtnahme auf meine Eltern wollte ich sie mit schulischen Nichtigkeiten und dieser zugegebenermaßen schlechten, aber im Verhältnis zum Weltgeschehen doch irrelevanten Zensur emotional nicht unnötig belasten. Daher ließ ich sie bei der Beantwortung der elterlichen Frage, ob in der Schule irgendetwas Besonderes vorgefallen sei, elegant unter den Abendbrottisch fallen.
Das Ganze kam später allerdings doch raus. Als Zugabe zum Halbjahreszeugnis erhielt ich einen blauen Brief, da meine Leistungen in Chemie nur schwach ausreichend mit Tendenz zum Mangelhaften waren. Persönlich fand ich das gar nicht so schlecht, denn ich musste ja die Sechs aus dem Test ausgleichen. Zu meiner Überraschung teilten meine Eltern diese wohlwollende Einschätzung nicht vollumfänglich. Ihre Dankbarkeit, dass ich ihre Nerven durch das Verschweigen der Sechs geschont hatte, hielt sich ebenfalls in Grenzen.
22. November 2022, Berlin
Die Klausurenwoche des Sohns geht weiter. Heute mit Geschichte. Über die Krisenjahre der 20er. Also, die 1920er, nicht die 2020er Jahre.
In der Oberstufe hatte ich einen Geschichtslehrer, der uns in der allerersten Stunde bei ihm ein dreiseitiges Dokument austeilte, das eng bedruckt mit Jahreszahlen zu bedeutsamen Ereignissen von der Steinzeit bis zum Kalten Krieg war. Diese Zahlensammlung war immer Bestandteil unserer Hausaufgaben, so dass er jederzeit eine unangekündigte Hausaufgabenüberprüfung darüber schreiben konnte. (Was er auch regelmäßig tat.)
Eine pädagogisch nutzlose und vor allem geschichtswissenschaftlich vollkommen stumpfe Aufgabe. Dadurch kannten wir zwar einen Haufen von Zahlen – zumindest im Idealfall –, aber hatten keine Ahnung, was die dazugehörigen Ereignisse eigentlich bedeuten. Zum Beispiel wusste ich damals aus dem Effeff, das 1356 die Goldene Bulle verabschiedet wurde, aber nicht, was eine Goldene Bulle überhaupt ist. Um ehrlich zu sein, weiß ich es bis heute nicht. Nur, dass das Ganze in England stattfand und irgendetwas mit Gesetzen zu tun hatte. Ein überschaubarer Detailgrad an Wissen, der wohl nicht ausreicht, mit dem ich es bei Günther Jauch eher nicht bis zur Millionenfrage schaffe. Außer ich gebe meinen alten Geschichtslehrer als Telefonjoker an.
23. November 2022, Berlin
Die Tochter erzählt abends, sie bekäme an der Uni regelmäßig von Kommiliton*innen und Dozent*innen zu hören, wie gut und akzentfrei ihr Englisch sei. Wenn das noch einmal passieren würde, würde ihr wahrscheinlich der Kopf platzen, meint sie.
Allerdings sagen ihre Freundinnen, sie klänge nach „posh English”. In Irland, wo Engländer*innen im Allgemeinen nur so mittelmäßig beleumundet sind, ist das nicht unbedingt von Vorteil. Vielleicht sollte sich die Tochter doch besser einen deutschen Akzent zulegen.
24. November 2022, Berlin
Der Sohn laboriert immer noch an seiner Handverletzung. Deswegen radle ich zur Orthopädin, wo ich um 10 Uhr mit ihm Sohn verabredet bin. Auf dem Radweg fährt vor mir eine junge Frau in einer knallengen schwarzen Lederhose. (Damit keine Missverständnisse aufkommen: Die Frau fährt nicht in einer knallengen, schwarzen Lederhose, sondern auf einem Fahrrad und trägt dabei die knallenge, schwarze Lederhose.)
Die Hose ist wirklich unfassbar knalleng. So knalleng, dass ich meinen Blick kaum abwenden kann. Selbstverständlich nicht weil mich lüsterne Gedanken umtreiben, sondern weil ich mich frage, wie sie es geschafft hat, da reinzukommen. Vielleicht hat sie eine Vorrichtung, mit der sie sich in die Hose schießt. Eine Art Katapult.
Ebenso gerne wüsste ich, wie sie heute Abend aus der Lederhose wieder rauskommt. Da wäre ich gerne dabei. Erneut nicht zur Befriedigung notgeiler Altherrenphantasien, sondern aus rein wissenschaftlichem Interesse. Ich schätze, der Frau wäre es trotzdem nicht recht, wenn ich ihr beim Entkleiden zuschaue.
###
Im Anschluss an den Orthopädie-Termin schreibt der Sohn die dritte Klausur für diese Woche. Biologie. Er nutzt die Zeit im Wartezimmer, um noch ein wenig zu lernen. Ich finde es bewundernswert, wie er hier abschalten und sich den Stoff zumindest ins Kurzgedächtnis reinziehen kann. In seinem Alter hatte ich Schwierigkeiten mir überhaupt irgendetwas in Bio zu merken, selbst wenn ich allein in meinem Zimmer gelernt habe, wo es keinerlei Ablenkung gab. Außer meinem kleinen Fernseher, auf dem ich ab und an kontrollieren musste, welche Videos gerade bei MTV oder Viva liefen.
Biologie zählte ohnehin nicht zu meinen Stärken. (Außer im Vergleich zu Chemie.) In der 11. war ich im Biologie-Grundkurs der einzige Junge unter vierzehn Mädchen. Aus Gründen, die nur der Lehrer kannte, fand er, dass ich in dem Kurs die am besten geeignete Person sei, um sie an der Tafel zum weiblichen Zyklus abzufragen. (Spoiler Alert: War ich nicht.)
Vielleicht dachte er, dass ich die größtmögliche persönliche Distanz zu dem Thema hätte. Ganz falsch lag er damit nicht. Allerdings war meine Distanz so groß, dass ich mich nur flüchtig mit Details zum Vorgang des Eisprungs beschäftigt hatte. Hätte mich der Lehrer stattdessen über das aktuelle Jaja-Album von Westernhagen oder die Use your illusion-Platten von Guns n‘ Roses abgehört, wäre die Angelegenheit für uns beide erfreulicher und für mich erfolgreicher verlaufen.
Alle Beiträge der Wochenschau finden Sie hier.
Sie möchten informiert werden, damit Sie nie wieder, aber auch wirklich nie wieder einen Familienbetrieb-Beitrag verpassen?
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Likes
Reposts