Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
29. November 2021, Berlin
Wir unterhalten uns beim Abendbrot über die aktuelle Corona-Situation (worüber auch sonst). Ich mutmaße, dass es wahrscheinlich keine Schulschließung geben wird, aber vielleicht die Weihnachtsferien auf Montag vorgezogen werden. Die Miene des Sohns hellt sich auf und seine Augen leuchten. Aber nur so lange, bis er merkt, dass ich nicht nächsten Montag, sondern den Montag vor Heiligabend meine.
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Ich bin immer noch dabei, die alten DAS-MAGAZIN-Ausgaben aus dem laufenden Jahr aufzuarbeiten. Im September-Heft lese ich ein Interview mit dem Neuropsychologen und Gedächtnisforscher Hans J. Markowitsch. Der erklärt unter anderem, dass Eltern gegen ihre Kinder im Memory verlören, weil das Gehirn von 5-jährigen noch nicht so voll sei wie bei Erwachsenen und sie sich deswegen die Bilderpaare besser merken könnten.
Weil irgendwo in meinem Kopf alle Ergebnisse der deutschen Fußballnationalmannschaft bei der WM 1982 abgespeichert sind – inklusive der Torschützen –, bin ich also nicht in der Lage, mich zu erinnern, wo die zweite Sonnenblume liegt, obwohl sie erst 10 Sekunden zuvor aufgedeckt wurde. Das klingt auf jeden Fall besser als meine Vermutung, dass ich einfach zu blöd für Memory bin.
30. November 2021, Berlin
Meine Lauf-App hatte gestern ein Update. Während sie vorher wie eine Inderin klang, die Deutsch mit starkem Akzent spricht, haucht sie mir nun sanft säuselnd Kilometerstände, Zwischenzeiten und Durchschnittswerte in den Kopfhörer. Hört sich an, als hilft die Stimme bei der Lauf-App nur aus und bespricht sonst Achtsamkeits-Apps, die dich in Sanft- und Gleichmut lullen. Oder sie bietet normalerweise Telefonsex an, bei dem aber nur gekuschelt wird. (Und nur mit Licht aus!)
Ich möchte das nicht. Meine Lauf-App soll nicht wie eine Mischung aus Herzblatt-Susi und Meditations-Coach klingen, sondern mir mit Domina-Stimme „Streng! Dich! An!“ ins Ohr brüllen. Oder in Klaus-Kinski-Manier schreien: „Quäl dich, du dumme Sau du!“ Oder mich anherrschen: „Wer abends Plätzchen frisst, der kann sich morgens auch anstrengen!“ (Das ist selbstverständlich Unfug, denn der übermäßige Konsum von Weihnachtsgebäck am Vorabend, schließt körperliche Höchstleistung am Folgemorgen geradezu aus.)
01. Dezember 2021
Heute ist erster Dezember und somit darf heute das erste Türchen am Adventskalender geöffnet werden. Unsere Kinder sind zwar schon volljährig beziehungsweise im besten Teenager-Alter und somit nicht mehr von kindlicher Vorfreude auf Weihnachten beseelt, das Konzept des Adventskalenders stellen sie aber dennoch nicht infrage. (Wahrscheinlich wird sich daran auch nichts ändern, so lange sie ihre Füße unter unseren Tisch stellen.)
Seit ein paar Jahren bestehen die Adventskalender der Kinder aus jeweils 24 nummerierten Pappröhren mit Deckeln. (Somit darf heute streng genommen nicht das erste Türchen, sondern die erste Röhre geöffnet werden.) Durch dieses Adventskalender-Design entfällt das lästige Einpacken von irgendwelchen Kleinigkeiten und das Adventskalender-Befüllen ist damit wesentlich weniger aufwändig.
Für mich ist es besonders unaufwändig, denn die Adventskalender fallen in den Aufgabenbereich meiner Frau. Als guter Ehemann habe ich ihren diesbezüglichen Mental Load aber erleichtert, indem ich sie Anfang November daran erinnert habe, „wir“ müssten uns langsam Gedanken um die Inhalte der Adventskalender machen. (Ein Satz, der wahrscheinlich irgendwann in ihrer Scheidungsklage auftauchen wird.)
Während die Kinder jedes Jahr einen Adventskalender bekommen, warten wir seit 18 beziehungsweise 15 Jahren darauf, dass sie uns auch mal einen basteln. Okay, die ersten paar Jahre waren sie entschuldigt, aber spätestens im fortgeschrittenen Kita-Alter solltest du motorisch schon in der Lage sein, etwas Adventskalenderähnliches zu fabrizieren.
Als mein Bruder und ich in der Grundschule waren, haben wir zum Beispiel 24 Streichholzschachteln zusammengeklebt, bemalt und mit Sternen verziert und fertig war der Adventskalender für unsere Eltern. Da das Volumen einer Streichholzschachtel nicht übermäßig groß ist, bestanden die Inhalte aus kleinen Stückchen Schokolade, winzigen Pfeifenputzer-„Skulpturen“, zerbröselten Weihnachtsplätzchen oder 5-Pfennig-Münzen.
Wenn ich es mir recht überlege, ist es vielleicht doch ganz gut, dass die Kinder uns keinen Adventskalender basteln. Ein gekaufter Schoko-Kalender wäre auch okay.
02. Dezember 2021, Berlin
Der Sohn übernachtet gemeinsam mit ein paar Klassenkameraden bei einem Schulfreund. Sie wollen Bier trinken und Die Wilden Kerle und Die Teufelskicker schauen. So ist das, wenn die Kinder nicht mehr klein, aber auch noch nicht richtig groß sind.
03. Dezember 2021, Berlin
Der Türöffnungsmechanismus bei unserer Klingel ist kaputt und ich bin extrem genervt. Jedes Mal, wenn einer der DHL-, Amazon-, DPD- oder Hermes-Kuriere klingelt – und das tun sie in der Vorweihnachtszeit im Viertelstunden-Rhythmus –, muss ich nicht nur runter zur Haustür gehen und diese von Hand öffnen, sondern, weil ich ja schon unten bin, darf ich die Päckchen und Pakete dann auch gleich selbst hoch tragen. Schönen Dank auch.
(Wenn Sie mal jemandem erklären müssen, was First-World-Probleme privilegierter weißer (mittel)alter Männer sind, können Sie gerne diese Anekdote als Beispiel anführen.)
04. Dezember 2021, Berlin
Morgens ist es jetzt immer so kalt, dass ich beim Laufen eine lange Hose tragen muss. Und zwar die lange Hose, die mir schon im Frühjahr ein wenig zu weit war und deswegen rutscht. Ich hatte ja auch nur ein halbes Jahr Zeit, um mich um eine neue Hose zu kümmern oder ein neues Gummi am Bund einziehen zu lassen.
Da ich – natürlich – weder das eine noch das andere getan habe, hängt mir die Hose nun beim Laufen ständig auf Halbmast, was für die anderen Läufer:innen und Spaziergänger:innen eine Mischung aus Erregung öffentlichen Ärgernisses und sexueller Belästigung darstellt. Das ist an sich schon unangenehm genug, aber darüber hinaus bellen mich andauernd Hunde an und rennen mir hinterher, weil sie mein halb zur Schau gestelltes Hinterteil anscheinend für ein Stück Schinkenspeck halten.
05. Dezember 2021, Berlin
Der Sohn fragt mich, wie sicher ich mir sei, dass die Weihnachtsferien wirklich auf den Montag vor Heiligabend vorgezogen würden. Ich erwidere, ich sei mir da überhaupt nicht sicher, das sei nur so eine vage Vermutung von mir.
Meine Antwort stellt den Sohn nicht zufrieden. Für den 21. Dezember ist eine Mathearbeit angesetzt und da wäre er nur zu gerne bereit, durch vorzeitige Ferien seine schulische Bildung hintenanzustellen, um einen persönlichen Beitrag in der Pandemiebekämpfung zu leisten.
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Lese im MAGAZIN eine Reportage über eine Fahrt auf dem Big Nude Boat, eine Kreuzfahrtreise für – wie der Name schon andeutet – Nudisten. Das wäre meine ganz persönliche Hölle. Schon eine normale Kreuzfahrt steht auf meiner Urlaubs-Bucket-Liste ganz weit unten. Ganz, ganz weit. Tagelang auf hoher See unterwegs sein, eingepfercht mit fremden Menschen, denen du dich nicht aus dem Weg gehen kannst, weil du ja tagelang auf hoher See unterwegs bist, und dann springen dir beim Frühstücksbuffet, bei der Morgengymnastik oder beim abendlich Bar-Besuch immer und überall fremde Brüste und Penisse entgegen, das hört sich für mich ungefähr so attraktiv an wie ein Wellness-Wochenende in Mar-a-Lago mit persönlicher Ganzkörpermassage von Donald Trump.
Ich blättere weiter zu den Kontaktanzeigen. Dort gibt es eine Annonce eines „alten Gelehrten“ der eine „jüngere Doktorandin“ für das Promotionsvorhaben „Ich-Du-Seelengemeinschaft“ sucht. Ich frage mich, ob dieser Mensch tatsächlich am wissenschaftlichen Diskurs mit einer Person des anderen Geschlechts interessiert ist oder ob das ein Code für irgendein bizarres Rollenspiel ist. Nun ja, vielleicht hat er Glück und eine Studentin mit Gero-Fetisch meldet sich bei ihm. Falls nicht, kann er sich immer noch für eine Reise mit dem Big Nude Boat anmelden. Da gibt es bestimmt auch Gelegenheit für den intellektuellen Austausch.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
“Wahrscheinlich wird sich daran auch nichts ändern, so lange sie ihre Füße unter unseren Tisch stellen.”
Deinen Optimismus in allen Ehren, aber das hat nichts mit bei den Eltern wohnen zu tun. Adventskalender nehmen sie auch mit 30 noch an.
“Sie wollen Bier trinken und Die Wilden Kerle und Die Teufelskicker schauen.”
Ja, nee, is klar…Hi, Hi…
An mein Herz! Ich habe auch erst diese Woche das Magazin von September gelesen. Immerhin bis Dezember durch. Der Artikel übers Brotbacken ist auch sehr witzig. Vielleicht aber nur für Leute, die selber einen Sauerteig mit Namen im Kühlschrank haben.