Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
27. November 2023, Berlin
Gehe morgens laufen. Über Nacht hat es geschneit. Vielleicht erinnern Sie sich, wie Sylvester Stallone in Rocky IV durch die sibirische Schneelandschaft rennt. Kraftvoll, dynamisch, entschlossen und maximal männlich. Er hängt sogar ein Auto mit KGB-Offizieren ab, die ihn Schritt auf Tritt verfolgen.
Mein Laufen hat rein gar nichts mit dieser Rocky-Szenerie zu tun. Ich tripple übervorsichtig auf den leicht verschneiten Gehwegen, immer darauf bedacht, auf dem matschigen Untergrund nicht auszurutschen. Wie ein gebrechlicher Greis, der Angst hat, hinzufallen und sich einen Oberschenkelhalsbruch zuziehen, von dem er sich nie wieder erholen wird. Mein Laufstil ist nicht maximal männlich, sondern maximal geriatrisch.
Auf der Putlitzbrücke überholt mich eine ältere Frau mit einem klapprigen Damenrad.
28. November 2023, Berlin
Ich kaufe Schoko-Weihnachtsmänner für die Kinder im Haus. Als ich sie zuhause aus der Einkaufstasche hole, schneide ich mich an der scharfkantigen Stanniolverpackung einer der Weihnachtsmänner. Wie kann etwas, das so lecker ist, so hinterhältig sein?
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Viele der Plätzchen, die wir zu Weihnachten backen, stammen aus Brigitte-Sonderheften, die uns meine Mutter jedes Jahr zukommen lässt. Unter jedem Rezept kannst du nachlesen, wie viel Kalorien ein Plätzchen hat. Tun Sie das nicht! Das vermiest jedweden Genuss, den Sie beim Plätzchenessen verspüren könnten.
Was sind das überhaupt für weltfremde Mengenangaben? Ein Plätzchen. So viel Impulskontrolle hat doch kein normaler Mensch, dass er – oder sie – nur ein Plätzchen isst. Realistischer wäre es, die Kalorienangaben pro Pfund Plätzchen anzugeben.
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Auf Radio Eins läuft abends „Kids in meinem Alter, Teil 2“ von Deichkind. Das beschert mir die schöne Zeile „Chuck Norris kennt zwei Rudi Völler“. Mich amüsiert das. Ich möchte das als Ausdruck für mein sonniges Gemüt verstanden wissen. Vielleicht habe ich aber auch einfach einen sehr, sehr schlichten Humor.
29. November 2023, Berlin
In der Stromstraße hat ein neuer Friseur aufgemacht. Der Laden trägt den vielversprechenden Namen „The Hair Arts“. Auf meiner Spazierrunde laufe ich regelmäßig daran vorbei.
Rechts neben der Ladentür ist in großen weißen Letten auf grauem Untergrund das „Hair Arts“-Angebot aufgelistet. Für mich ist das eine vollkommen fremde Welt und ich stehe staunend davor, als hätte ich gerade die Schrankwand nach Narnia durchschnitten.
Mit „moderner Farbgebung“ und „moderner Haarschnitt“ kann ich noch etwas anfangen. Bei „Pigmentation“ geht es wahrscheinlich um irgendwas mit Färben, bei „Perma“ vielleicht um etwas Dauerhaftes.
„Ombre“ hört sich für mich wie das spanische oder mexikanische Wort für Freund an, „Balayage“ könnte ein One-Hit-Wonder. Sommerhit aus den Neunzigern sein. Was beides mit Frisuren und Haarstyling zu tun haben könnte, erschließt sich mir nicht.
Wie „Haar Botox” funktionieren könnte, ist mir schleierhaft. Soweit ich weiß, wird Botox in faltige Gesichtspartien gespritzt, um diese zu glätten. Können Haare faltig werden? Und wie dünn muss die Nadel sein, mit der du etwas in ein Haar spritzt?
Unter „Micro Welding“ kann ich mir überhaupt nichts vorstellen. Was ist welden und auf was bezieht sich das „Micro“? Wird da etwas Kleines geweldet oder wird etwas klein geweldet? Oder singt die Friseurin während des Weldens in ein Mikrofon? Möglicherweise Lieder aus dem Musical Hair?
Was „Keratin Pflege“ sein könnte, weiß ich auch nicht. Ich kenne nur Kreatin. Das futtern Kraftsportler*innen, um ihre Leistungsfähigkeit zu steigern und ihre Muskeln aufzuplustern. Kann man die Leistungsfähigkeit von Haaren steigern? Und haben Haare Muskeln, die aufgeplustert werden können?
Am meisten treibt mich an der Auflistung um, dass die Angebote nicht exakt waagerecht und dadurch nicht parallel zueinander angeordnet sind. Einige Worte sind leicht schräg angebracht, die Abstände sind nicht immer identisch, außerdem sind ein paar Zeilen zentriert, andere wiederum nicht.
Das sieht so vogelwild aus, dass ich davon nachts bestimmt träumen werde. Ob die Besitzerin mich merkwürdig findet, wenn ich ihr anbiete, das Schild auf meine Kosten überarbeiten zu lassen?
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Letzte Woche habe ich mich für meine Verhältnisse recht leidenschaftlich über den Angriff auf den guten Geschmack namens Zitronat und Orangeat ausgelassen und dass diese nichts im Stollen zu suchen hätten. Dafür gab es bei Instagram und Facebook sehr viel Zustimmung. Aber auch vereinzelte Stimmen, ich hätte bisher nur das eklige Industrie-Zeug gegessen und müsse unbedingt frisches Zitronat und Orangeat probieren. Das sei köstlich und würde den Stollen veredeln.
Steffi vom Unverpacktladen „Groß & Klein“ in Solingen schickt mir sogar zwei Tütchen mit Frischware, damit ich mich davon überzeugen kann. Die Konsistenz ist tatsächlich etwas angenehmer. Nicht so fest und trocken wie ihre Supermarkt-Kollegen.
Allerdings ändert das nichts am Grundproblem: dass Zitronat und Orangeat gezuckerte Zitronen- und Orangenschalen sind und auch so schmecken. Deswegen bleibt mein Stollen fürs sie eine No-Go-Area.
Aber dass ich sie nicht lecker finde, ist selbstverständlich nicht die Schuld von Zitronat und Orangeat, sondern meine eigene. Aber vor allem von der Person, die irgendwann auf die wahnwitzige Idee kam, Zitronen- und Orangenschalen zu kandieren und in Stollen zu werfen.
30. November 2023, Berlin
Minus vier Grad. Laut Google-Wetteranzeige gefühlt sogar minus sieben. Das ist zum Laufen noch unerquicklicher als Neuschnee. Noch ungefähr 70-mal Laufen gehen, bis ich wieder kurze Hosen tragen kann.
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Der Sohn hat sich letzte Woche beim Judotraining das Handgelenk verletzt. Am Montag war er beim MRT, heute muss ich mit ihm zum Orthopäden, den Befund besprechen. Die Diagnose: Knochenprellung und angerissener Diskus. Bei letzterem ist allerdings nicht ganz klar, ob das frisch oder schon länger her ist.
Die Verletzung kommt zeitlich eher ungelegen. Sonntag in einer Woche ist Deutsche Mannschaftsmeisterschaft. Für den Sohn das letzte Turnier in der U18.
Auf seine Frage, ob er mit dem lädierten Handgelenk antreten könne, hat die Ärztin zwei Antworten: Als Medizinerin sagt sie, er solle eine drei- bis vierwöchige Sportpause einlegen. Als Mutter, die selbst ein Kind hat, das Leistungssport betreibt, könnte sie jedoch verstehen, wenn er sein Handgelenk tapen würde und versucht zu kämpfen.
Medizinisch sei aber die drei- bis vierwöchige Pause angeraten, schiebt sie nochmal hinterher. Wahrscheinlich muss sie das aus versicherungstechnischen Gründen sagen.
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Der Sohn schreibt morgen Geschichte. Über die attische Demokratie. Als ich abends in sein Zimmer gehe, um ihm gute Nacht zu sagen, schaut er gerade ein YouTube-Video des Kanals „Wissen to go“, in dem ein junger Mann anschaulich die Entstehung der Demokratie und ihre Ausgestaltung im antiken Griechenland erläutert.
Mir würden Videos beim Lernen nicht helfen. Damit ich mir etwas behalte, muss ich es lesen. Mehrfach. Dann präge ich mir – mit etwas Glück – Bruchteile von dem Gelesenen ein. Bei Videos gehen die Informationen dagegen in das eine Ohr rein und ohne nennenswerten Aufenthalt in meinen Synapsen aus dem anderen wieder raus.
Vielleicht liegt das daran, dass es zu meiner Schulzeit keine kurzweiligen, informativen Lernvideos im Internet gab. Wir hatten ja nicht einmal Internet. Nur Telekolleg. Eine Sendung, die vormittags in den Dritten Programmen lief. Da erklärte ein Mann mit Faible für Pullover mit großen Rautenmustern und einer Frisur, die er seit seinem Studium in den 60ern nicht gewechselt hat, mathematische und naturwissenschaftliche Themen. Faszinierend war dabei, dass die Sendung noch monotoner und langweiliger als der Schulunterricht war.
Wahrscheinlich war das Telekolleg Teil einer GEW-Imagekampagne, um Lehrer*innen interessant, engagiert und inspirierend erscheinen zu lassen.
Das perfekte Schrottwichtel-Geschenk
Sie sind noch auf der Suche nach einem Geschenk für Weihnachten? Oder fürs Schrottwichteln? Da könnte eines meiner Bücher genau das Richtige sein. Schreiben Sie mir einfach eine Mail.
Die Bücher kosten zwischen 10 und 12 Euro (plus Versandkosten). Gerne versehe ich das Buch auch mit einer persönlichen Widmung. (Das verhindert, dass es weiterverschenkt werden kann.)
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)