Eine kleine Wochenschau | KW49-2023 (Teil 2)

Teil 1


07. Dezember 2023, Berlin

Ich schreibe meinem jüdischen Bekannten L. eine Nachricht und wünsche ihm alles Gute zu Chanukka, dem jüdische Lichterfest. In den nächsten acht Tagen zünden Juden jeden Abend eine weitere Kerze an und die Kinder bekommen jeden Tag Geschenke und Süßigkeiten. Das stelle ich mir sehr schön für die jüdischen Kinder vor. Und ziemlich ruinös für die Eltern.

Zum Essen gibt es zu Chanukka in Öl gebackene Speisen wie Krapfen (Sufganiyots) und Kartoffelpuffer (Latkes). Damit soll an das Wunder des ewig brennenden Öls im Tempel gedacht werden. Eine sehr clevere Idee, um den Verzehr von Frittiertem zu rechtfertigen.

Im Christentum soll dagegen der Stollen an Christus als gewickeltes Baby erinnern. Eine merkwürdige kannibalistische Assoziation, die einem die Freude an einem Stück Stollen eher verleidet. Früher war das kein größeres Problem, denn der Stollen war eine Fastenspeise und wurde aus Wasser, Hafer und Rüböl zusammengemanscht. Das war geschmacklich ohnehin kein Hochgenuss.

Glücklicherweise fand irgendwann jemand, dass es dem Ansehen des Gottessohns bestimmt keinen Schaden zufügt, wenn Stollen lecker ist und hat ihm Zucker, Mehl und Butter beigefügt. Bis irgendein Trottel auf die Idee kam, man könne da auch noch Zitronat und Orangeat reinwerfen. Aber das ist eine andere Geschichte und soll hier nicht noch einmal ausgebreitet werden.

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Für die gestern gebackenen Zitronenherzen brauchte ich sechs Eigelb. Die komplementären sechs Eiweiß verarbeite ich heute zu Kokosmakronen. Damit nichts wegkommt und weil Kokosmakronen in der Herstellung unkompliziert und schnell sind.

Da bei den Zitronenherzen aber weniger rauskamen, als erhofft, backe ich heute noch eine weitere Rutsche davon. Nun habe ich wieder sechs Eiweiß übrig. Es ist ein Teufelskreis. Aber ein sehr leckerer.

Da meine Frau zurzeit an der Arbeit sehr viel zu tun hat, konnte sie sich bis jetzt nur eingeschränkt bei der Weihnachtsbäckerei einbringen. Viele Plätzchensorten habe ich daher allein gebacken. Ich finde das aber nicht schlimm. Mir ist das lieber als umgekehrt. Schließlich möchte ich nicht in ihrer Plätzchenschuld stehen. Das ist in einer Ehe wie bei der Mafia. Der willst du auch keinen Gefallen schuldig sein.

Sollte ich irgendwann mal unseren Hochzeitstag vergessen – möglicherweise nächstes Jahr –, kann ich stattdessen nun sagen: „Dafür habe ich im Dezember 2023 allein Zitronenherzen gebacken.“

08. Dezember 2023, Berlin

Vor ein paar Wochen habe ich mir ein Poster zum Hamburg Marathon bestellt. Auf dem ist der Streckverlauf als schwarze Linie auf hellgelben Untergrund abgebildet und darunter stehen das Datum, mein Name und die erreichte Zielzeit. Das Poster sieht sehr stylish aus. Ich habe es gerahmt und in meinem Arbeitszimmer aufgehängt. Unterhalb des Posters habe ich noch eine Halterung angebracht, an der ich meine gesammelten Volkslauf-Medaillen der letzten fünfzehn Jahre auffädeln kann.

Wenn Sie jetzt denken, dass hört sich wie ein Midlife-Crisis-Altar an, haben sie vermutlich recht.

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Im Hausflur hängt ein Zettel. Er ist von R. aus dem dritten Stock. Sie wird heute 16 und feiert eine Party. Es kämen viele Leute und es könne etwas lauter werden. Sie werde jedoch dafür sorgen, dass um 0.30 Uhr alle gehen.

Ich weiß nicht, ob das alle Hausbewohner*innen so sehen, aber ich bin sehr enttäuscht von R., wenn die Party tatsächlich um halb eins vorbei ist.

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Der Sohn ruft an. Das ist ungewöhnlich. Generell und vor allem, weil er im Bad ist und ich nebenan im Arbeitszimmer sitze. Wenn dich jemand aus dem Nachbarzimmer anruft, kann das nur zweierlei bedeuten: Entweder ist die Person sehr, sehr faul oder sie hat schlechte Nachrichten, die sie dir nicht von Angesicht zu Angesicht überbringen kann.

Beim Sohn ist letzteres der Fall. Als er von der Schule nach Hause kam, hatte er leichte Gliederschmerzen und sich deswegen in die Badewanne gelegt. Anschließend war er so umsichtig, einen Corona-Test zu machen. Nun informiert mich der Sohn über die zwei unerwünschten Streifen. Ich lege ihm eine Maske vor die Tür, dann isoliert er sich in seinem Zimmer.

Der positive Test ist für den Sohn doppelt doof: Erstens, weil er Corona hat, und zweitens muss er damit endgültig die Teilnahme an der Deutschen Mannschaftsmeisterschaft abhaken.

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17 Uhr. Der Sohn meldet sich. Er habe Hunger und möchte sich etwas zu essen bestellen. Am liebsten bei Smack Burger, einem Laden, der vor ein paar Monaten bei uns in der Gegend aufgemacht hat und dessen Signature Move darin besteht, auf alles sehr viel Käse zu machen. Ein kluger Move, denn nichts wird schlechter, wenn du es mit Käse überbäckst.

Die Bestellliste des Sohns umfasst zwei Cheeseburger, ein Patty Melt – ein Rindfleisch-Patty mit der käsigen Haussauce, doppeltem Cheddar und karamellisierten Zwiebeln zwischen zwei hausgemachten Scheiben Toast – sowie eine Portion Chicken Cheese Poutine – Pommes mit Hühnchen und Käsestücken.

Sagen wir es so: Corona scheint ihm nicht auf den Magen zu schlagen.

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Als meine Frau nach Hause kommt, erkundigt sie sich beim Sohn nach seinem Wohlbefinden. Eigentlich gehe es ihm ganz gut, aber ihm sei sterbenslangweilig. Das ist ein wenig verwunderlich. Er hat den Großteil des Nachmittags damit verbracht, im Bett zu liegen, durch Insta, TikTok und Snapchat zu scrollen und dabei Fernsehen zu schauen. So wie jeden anderen Nachmittag auch. Aber anscheinend macht es einen Unterschied, ob du das aus freien Stücken tust oder dir keine andere Wahl bleibt.

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Wir telefonieren abends mit der Tochter. Sie erzählt, sie habe schon seit vier Tagen kein Türchen an ihrem Schoko-Adventskalender geöffnet. Weil sie das morgens immer vergessen würde. Jetzt hätte sie daran gedacht, aber zum Frühstück schon von ihrem Schoko-Weihnachtsmann gegessen, so dass sie jetzt keine Lust auf Schokolade hätte.

Meine Frau und ich verstehen den Zusammenhang nicht und fragen uns, wie man keine Lust auf Schokolade haben kann. Aber das spricht eher gegen uns als gegen die Tochter.

09. Dezember 2023, Berlin

Wie schon gestern fällt auch heute früh bei meiner Frau und mir der Corona-Test negativ aus. Somit steht unserer Teilnahme beim Nikolauslauf am Schlachtensee nichts im Wege, für den wir uns vor ein paar Wochen angemeldet hatten.

Gemeinsam mit meinen Laufkollegen, mit denen ich mich regelmäßig samstags im Grunewald treffe, habe ich mir den Drittelmarathon über 16,2 Kilometer vorgenommen. O. und sein Sohn verwechseln versehentlich ihre Startnummern. Der Sohn wird Erster in der Altersklasse 50, O. dagegen Zehnter bei den 20- bis 25-Jährigen.

Ich belege in der Altersklasse 45 den dritten Platz. Was etwas beeindruckender wäre, wenn in meiner Gruppe mehr als fünf Teilnehmer am Start gewesen wären. Aber immerhin gibt es eine Teilnehmermedaille, die ich an meinen Midlife-Crisis-Schrein hängen kann.

10. Dezember 2023, Berlin

Während ich im Arbeitszimmer sitze und die Wochenschau editiere, höre ich, wie meine Frau in der Küche Kartons zerkleinert. Dann geht sie in den Hof und entsorgt sie in der Altpapier-Tonne. Allein, ohne mich. Damit hat sie mein Solo-Zitronenherzen-Backen wettgemacht und ich darf in den nächsten Jahren unseren Hochzeitstag nicht vergessen. Verdammt.

Später muss ich feststellen, dass sie auch noch die Schokoladenplätzchen kuvertiert und alle Flaschen und Dosen auf den Küchenregalen abgewischt hat. Nun stehe ich tief in ihrer Schuld. Wahrscheinlich liegt heute Abend ein Pferdekopf auf meinem Kopfkissen.


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