Nachdem wir unsere kulinarische Fortbildung abgeschlossen haben, gehen wir durch die Altstadt in Richtung Karlsbrücke. Dort in der Nähe ist die Buchhandlung „Shakespeare & Sons“, die auf den Seiten von „Mit Vergnügen“ empfohlen wurde.
Als wir die Karlsbrücke erreichen, ist es schon später Nachmittag. Im Vergleich zum gestrigen Donnerstag ist der Besucher*innen-Andrang heute noch einmal bedeutend. Unzählige Menschen drängen sich an den beiden Geländer-Seiten, um Touri-Selfies mit den Heiligen-Figuren oder der Prager Stadt-Silhouette zu schießen. Zum Glück haben wir das gestern bereits erledigt.
Bei „Shakespeare & Sons“ gibt es auf zwei Etagen Bücher aus allen Genres, hauptsächlich auf Englisch. Die Regale reichen bis zur Decke, eine Systematik ist nicht zu entdecken und billige Taschenbuch-Ausgaben stehen direkt neben hochwertigen Hardcover-Büchern.
In einem kleinen Raum entdecke ich eine Sonder-Edition zu Klassikern der Literaturgeschichte. Von Homers „Illias“ über Tolstois „Krieg und Frieden“ bis hin zu Orwells „1984“. Eine etwas männerlastige Auswahl, aber die Einbände sind aufwändig und ansprechend gestaltet. Vielleicht sollte ich die insgesamt über 30 Büchern alle kaufen. Nicht weil ich sie lesen will, aber sie sind hübsch anzusehen und würden sich gut in unserem Bücherregal. (Außerdem würden Gäste dann denken, ich hätte die Bücher tatsächlich gelesen und das ist bekanntlich fast so viel wert, wie sie wirklich gelesen zu haben.)
Nach einer guten halben Stunde verlassen wir „Shakespeare & Sons“. Draußen stellen wir fest, dass wir den Sohn verloren haben. Mit 17 ist er in einem Alter, in dem wir deswegen nicht in Panik verfallen müssen. Meine Frau ruft ihn einfach an.
Der Sohn befindet sich noch in der Buchhandlung. Erstaunlich. Er hat es sich im Untergeschoss auf einem Sofa bequem gemacht. Das klingt schon mehr nach ihm. Er erklärt, er müsse nur noch eine Seite Foucault zu Ende lesen, dann käme er. Okay?
Noch eine Seite Foucault zu Ende lesen? Freiwillig? Ich habe Fragen. Ist das unser Sohn? Oder wurde er von Aliens ausgetauscht? Oder wurde er entführt und will uns signalisieren, dass etwas nicht stimmt?
###
Als der der Sohn seine Foucault-Lektüre beendet hat, gehen wir an der Moldau entlang in Richtung zum „Czech Design Shop“. Der ist ebenfalls eine Empfehlung von „Mit Vergnügen“ und bietet, wie der Name vermuten lässt, tschechische Design-Produkte an. Richtig originell fände ich es, gäbe es dort ausschließlich in Asien produziertes Plastikspielzeug. Gibt es aber nicht. Sondern Geschirr, Gläser, Tassen, T-Shirts, Postkarten, Taschen und Schmuck.
Die Einrichtung des „Czech Design Shops“ ist ebenso minimalistisch wie die dortigen Produkte. Die Preise allerdings nicht. Somit belassen wir es beim nur anschauen und verzichten auf den Kauf einer Tasse. (Unser Bankkonto nicht zustimmend.)
###
Auf dem Heimweg gehen der Sohn und ich noch schnell einkaufen. Diesmal wirklich in einem tschechischen Supermarkt. Der heißt allerdings Albert, was sich nicht gerade super tschechisch anhört. Aber ich bin diesbezüglich kein Experte. Unter Umständen ist das ein sehr populärer Name in Tschechien, nur dass kein berühmter Tscheche so heißt.
Vielleicht heißt der Supermarkt-Gründungsvater Albert und bürgt wie der hippe Claus mit seinem guten Namen für Qualität und Einkaufserlebnis. Oder Albert ist ein tschechisches Akronym für „Die besten Produkte zu günstigen Preisen.“
Bei Albert ist es etwas geräumiger und vor allem ordentlicher als bei LIDL und bei BILLA, wo wir in den letzten beiden Tagen waren. Wobei das auch keine allzu hohe Messlatte ist.
Möglicherweise ist es bei Albert etwas teurer, aber das vermag ich nicht abschließend beurteilen. Bei den tschechischen Kronen und den hohen Beträgen habe ich keinen rechten Überblick. In einem Supermarkt kostet die Butter 2,345 Phantastilliarden, indem anderen 2,361 Phantastilliarden. Oder umgekehrt.
Wir haben alle Einkäufe beisammen und gehen zur SB-Kasse. An der scheitern wir fast. Nach dem ersten Produkt – eine Flasche Cola (nicht Kofola) – leuchtet auf dem Display ein roter Punkt auf.
Eine Supermarktangestellte kommt, um sich dem Problem anzunehmen. Sie ist circa Ende 50 und schaut uns missbilligend an. Sie kann kein Englisch und wir kein Tschechich. Das macht die Kommunikation herausfordernd.
Die Frau gestikuliert wild. Sofern ich ihre Pantomime richtig interpretiere, dürfen wir den Bereich rechts von der Kasse, wo die eingescannten Waren abzustellen sind, unter keinen Umständen berühren.
Mir ist schleierhaft, wie das funktionieren soll. Tut es auch nicht. Der rote Punkt leuchtet noch zweimal auf. Beim zweiten Mal sind Gestik und Mimik der Supermarktangestellten so barsch, dass dagegen Eiskunstlauftrainerinnen der 80er Jahre als warmherzige und zugewandten Menschen gelten können. Hier können wir uns also nie wieder blicken lassen.
###
Unermüdlich und unerschütterlich optimistisch unternehme ich nach Trdelnik und Kofola einen weiteren Versuch, mich unserem Gastland durch den Verzehr einheimischer Produkte anzunähern. Dazu habe ich im Supermarkt tschechische Schokolade gekauft.
Sie heißt Mléčná und wenn ich die blaue Verpackung richtig deute, handelt es sich um Vollmilch-Schokolade. Zumindest würde es mich bei dem abgebildeten Milchkrug überraschen, wenn es Traube-Nuss-Schokolade wäre.
Geschmacklich liegt Mléčná, wie schon Kofola, am unteren Ende der Zumutbarkeits-Skala. Wir können nicht genau benennen, was uns stört, aber wir verziehen alle nach dem ersten Bissen das Gesicht. Das sollte nicht passieren, wenn du Schokolade isst.
Mir ist schleierhaft, wie man es überhaupt hinbekommt, dass Schokolade nicht schmeckt. Schokolade besteht hauptsächlich aus Fett, Zucker, Milch und Kakao. Da kann eigentlich nichts schiefgehen. Zur Ehrenrettung der tschechischen Schokoladenindustrie sei erwähnt, dass die Tafel ganz unten im Regal lag, kurz über dem Fußboden. Da liegt bekanntlich in den seltensten Fällen die Premiumware. Von daher möchte ich nicht ausschließen, dass auch leckere tschechische Schokolade existiert, die ich erst noch finden muss.
###
Erfreulicher als das Schokoladenexperiment verläuft unsere abendliche Kniffelrunde. Zumindest für mich. Ich verwandle meinen Sechzig-Punkte-Rückstand gegenüber der Tochter in einen 130-Punkte-Vorsprung.
Ich möchte nicht voreilig sein, kein Bärenfell vor der Jagd verteilen und den Tag nicht vor dem Abend loben. Außerdem weiß ich selbstverständlich, dass man sich nicht zu früh freuen soll, am Ende abgerechnet wird und die Ente hinten kackt. Aber 130 Punkte sind schon ein sehr komfortabler Vorsprung.
Hoffentlich finde ich morgen in der Stadt einen Copy-Shop, in dem ich mir ein T-Shirt bedrucken lassen kann: „Kniffel-Champion Prague 2024: It’s coming home!“
Die kompletten Beiträge der Prag-Reise finden sie hier:
- Anreise (03.01.): Es fährt ein Zug nach Irgendwo
- Tag 1 (04.01.): So weit die Füße tragen
- Tag 2 (05.01.): Essen wie die Tschechen
- Tag 3 (06.01.): Wer zuletzt lacht, lacht zuletzt
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Meine Schwestern und ich planen für dieses Jahr einen Kurztrip nach Prag – in Gedenken an meinen Vater, der in Prag aufgewachsen ist und studiert hat, der mit uns immer mal nach Prag fahren wollte, und der gestorben ist, bevor wir echte Pläne machen konnten.
Die Reise mit unserem Vater wäre vermutlich nahezu gleich verlaufen (inkl. Kniffel – Turnier) und wäre von ihm mit ähnlichem Wortwitz und Beschreibung feingeistiger Beobachtungen und Erlebnissen verschriftlich worden.
Vielen Dank für diesen Einstieg in unsere “Sisters-on-Tour-nach-Prag”!
Ich wünsche ihnen viel Spaß und gute Erinnerungen an ihren Schwester-Trip gen Prag.