Um es vorneweg klarzustellen: Ich fahre sehr gerne Zug. Es ist bequem, meistens schneller als mit dem Auto, die Kinder können sich bewegen und umweltfreundlich ist es auch. Aber manchmal ist es auch etwas anstrengend, wenn es zu heiß ist, die Mitreisenden nerven und die Pünktlichkeit des Zugs zu wünschen übrig lässt. Davon handelt der folgende Text. In einem Paralleluniversum hätte es aber eine ganz erholsame Reise sein können. Lesen Sie einfach selbst.
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Bringe heute die Kinder zu den Großeltern. Fahren zusammen mit dem Zug gut vier Stunden nach Frankfurt. Haben uns aber gut präpariert, so dass die Fahrt sehr harmonisch und vollkommen vorfallsfrei verläuft – auch wenn dies zu Irritationen bei manchen Mitreisenden führt.
Fahre mit den Kindern Zug, wir essen Schoki, trinken Limo und schauen DVD. Die Waldorf-Familie neben uns ist kurz vorm Nervenzusammenbruch.
— Familienbetrieb (@Betriebsfamilie) 19. Juli 2014
Übergebe in Frankfurt die Kinder an den Großvater. Eine Stunde später geht es zurück nach Berlin. Stelle recht schnell fest, dass eine Zugreise alleine und ohne Kinder recht langweilig ist. Muss mir also mit irgendetwas die Zeit vertreiben.
Wenn mir im Zug langweilig ist, starte ich mein eigenes Bahnreisen-Paralleluniversum-Mem. Nur für mich!
— Familienbetrieb (@Betriebsfamilie) 19. Juli 2014
Habe mir extra einen Platz im Ruhebereich reserviert, damit mich während der Fahrt nicht irgendein Psychopath stört, wenn er hirnloses Zeug in sein Handy brüllt. Eine Idee, die in der Theorie besticht, aber den Praxistest der Realität nicht besteht.
“Das sind aber geistreiche Gedanken, die Sie in ihr Handy flüstern!” Sätze, die ich in einem Paralleluniversum zu Mitreisenden sagen könnte.
— Familienbetrieb (@Betriebsfamilie) 19. Juli 2014
Da die Temperaturen draußen bei ungefähr 35 Grad Celsius liegen und einige Mitreisenden anscheinend die Konzepte des Duschens und der allgemeinen Körperhygiene ablehnen, stellt die Fahrt eine olfaktorische Grenzerfahrung dar. Es ist unwahrscheinlich, dass der Waggon als Luftkurort anerkannt wird. Raubkatzen wären wahrscheinlich beleidigt, wenn ich sagte, es stinkt wie im Pumakäfig.
“Sie riechen so herrlich wie ein Lavendelfeld an einem Sommertag!” Sätze, die ich in einem Paralleluniversum zu Mitreisenden sage.
— Familienbetrieb (@Betriebsfamilie) 19. Juli 2014
Stelle fest, dass Reisen mit Kindern noch anstrengender ist, wenn es sich nicht um die eigenen Kinder handelt. Darf nämlich mit ein paar ganz besonders entzückenden Gören reisen, an denen sich selbst die Super-Nanny die Zähne ausgebissen hätte. Wahrscheinlich sind sie auf dem Weg zum SAT1-Casting zu “Die strengsten Eltern der Welt”. Warum führt man auch nie ein Betäubungsgewehr mit sich, wenn man es am dringendsten benötigt?
“Das sind ja ganz reizende Kinder. Und wie ruhig sie sind.” Sätze, die ich in einem Paralleluniversum zu Mitreisenden sage.
— Familienbetrieb (@Betriebsfamilie) 19. Juli 2014
Versuche mich abzulenken, indem ich mit dem Smartphone ein wenig im Internet surfe. Erneut eine theoretisch geniale Idee, die aber auch von einer gewissen Lebensfremdheit zeugt. Wie jeder weiß, ist doch das Mobilnetz auf Bahnreisen in etwa so zuverlässig wie Renditeversprechen der Lehman Brothers.
“Einwandfreier Netzempfang hier. Und tatsächlich auf der gesamten Strecke.” Sätze, die ich in einem Paralleluniversum auf Bahnreisen sage.
— Familienbetrieb (@Betriebsfamilie) 19. Juli 2014
Bahnreisen machen mich immer hungrig. Beschließe daher, das Bordbistro aufzusuchen. Da ich aber kürzlich keine Bank überfallen habe, verfüge ich nicht über die erforderlichen Barmittel, um mir dort etwas Essbares leisten zu können. Ohnehin ist die kulinarische Auswahl visuell in etwa so ansprechend wie eine offene Bauchwunde.
“Das sind aber günstige Angebote. Und wie lecker das aussieht.” Sätze, die ich in einem Paralleluniversum im Bordrestaurant sage.
— Familienbetrieb (@Betriebsfamilie) 19. Juli 2014
Trinke daher nur ein Mineralwasser und mache mich auf den Weg zurück zu meinem Platz. Lege dabei einen kurzen Zwischenstopp auf der Toilette ein und bin sehr froh, als Vertreter des männlichen Geschlechts im Stehen pinkeln zu können. Würde dafür dem Herrgott sogar auf den Knien danken, müsste ich dazu nicht den Boden berühen.
“Die Toiletten sind picobello. Da möchte man glatt vom Boden essen.” Sätze, die ich in einem Paralleluniversum auf Bahnreisen sage.
— Familienbetrieb (@Betriebsfamilie) 19. Juli 2014
Zurück an meinem Platz versuche ich den Kontakt zu meinen soziopathischen Mitreisenden tunlichst zu vermeiden. Mit der sozialen Kompetenz eines Kaspar Hausers ausgestattet, vergrabe ich mich daher in mein Smartphone und tue so als surfte ich im Internet.
“Sie sind ein gesprächiger Zeitgenosse und glotzen nicht nur stumpf auf ihr Handy.” Sätze, die Mitreisende im Paralleluniversum zu mir sagen
— Familienbetrieb (@Betriebsfamilie) 19. Juli 2014
Plötzliche bleibt der Zug auf der Strecke stehen. Mitten in einem Tunnel. Aus der folgenden Durchsage wird nicht wirklich klar, ob dies an einer Weichenstörung oder einem liegengebliebenen Zug liegt oder ob der Zugführer etwas aus dem Bordbistro zu sich genommen hat und nun an einer Lebensmittelvergiftung leidet. Deutlich zu verstehen ist lediglich die Aussage, dass der unfreiwillige Stopp zu einer Verzögerung von ungefähr 40 Minuten führen wird. Entsprechend unruhig werden die Mitreisenden und es kommt zu tumultartigen Szenen. Der Luftqualität im Waggon tut dies nicht gerade gut.
“Wie jedes Mal, pünktlich auf die Minute. Da macht der Bahn keiner was vor.” Sätze, die ich in einem Paralleluniversum auf Zugreisen sage.
— Familienbetrieb (@Betriebsfamilie) 19. Juli 2014
Mit gut 50 Minuten Verspätung fährt der Zug schließlich im Berliner Hauptbahnhof ein. Bin erleichtert, dass meine Schicksals- und Zwangsgemeinschaft mit den Mitreisenden hier endet und verlasse den Bahnhof.
“War nett, Sie kennengelernt zu haben.” Sätze, mit denen ich mich im Paralleluniversum von Mitreisenden verabschiede.
— Familienbetrieb (@Betriebsfamilie) 19. Juli 2014
Zuhause angekommen erkläre ich der Freundin, die ob ihres erholsamen Tags im Schwimmbad sehr ausgeglichen wirkt, dass sie gefälligst nächstes Jahr die Kinder zu den Großeltern bringt. Sie nickt. Vielleicht in einem Paralleluniversum.
“Zugfahren ist und bleibt die entspannteste Art des Reisens.” Sätze, die ich in einem Paralleluniversum nach Bahnreisen sage.
— Familienbetrieb (@Betriebsfamilie) 19. Juli 2014
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)