Es ist kurz vor halb neun, als ich das Wohnzimmer betrete. Dort treffe ich Beach Body, der am Esstisch sitzt. Vor ihm steht ein Banane-Spinat-Smothie. Oder ein Glas Kotze. Olfaktorisch ist das nicht so einfach zu unterscheiden.
„Warum bist du noch nicht umgezogen?“ fragt Beach mich streng. „Oder willst du etwa in deinen Schlaf-Shorts joggen gehen? Naja, bei deinem Laufstil ist das auch egal.“ Ich verdrehe die Augen und trinke ein Glas Wasser.
Unten auf der Straße erklärt Beach Body: „Heute gibt es einen niedlichen 14er. Im gemächlichen Tempo. Das solltest selbst du hinbekommen.“ Bevor ich erwidern kann, dass ich mich eher für einen niedlichen 1,4er erwärmen könnte, ist Beach Body schon wie eine Rakete losgerannt.
Zunächst laufen wir den gleichen Weg wie vorgestern entlang der L214. Nach knapp vier Kilometern biegt Beach mit den Worten „Damit du auch noch ein bisschen `was anderes von der Insel siehst.“ in einen staubigen Weg Richtung Nieblum ab. Für ungefähr 20 Minuten laufen wir an Feldern vorbei, auf denen irgendetwas wächst, das ich nicht benennen kann. Lediglich Mais, Raps und Hanf kann ich ausschließen. So weit reichen meine Kenntnisse des landwirtschaftlichen Ackerbaus dann doch, obwohl ich Biologie und Erdkunde nach der 10. abgewählt habe.
Während ich hinter Beach her hechle, fällt mir mal wieder auf, dass wir sehr unterschiedliche Vorstellungen von der Bedeutung von Adjektiven haben. Sein „gemächliches“ Tempo ist so hoch, dass ich ihm nur unter größter Mühe folgen kann. Dazu ist es heute sehr heiß, kaum zu unterscheiden von den sardischen Temperaturen im letzten Jahr. Gegen unseren morgendlichen Lauf ist der Marathon des Sables, der durch die marokkanische Sahara führt, sicherlich ein kleiner Spaziergang an einem frischen Frühlingsabend.
Mein Laufshirt klebt an meinem Körper, als wir nach knapp 50 Minuten das Ortsschild von Midlum passieren. Wenn ich mich recht erinnere, hat eine Leserin auf Facebook kommentiert, dass es hier ein nettes Café mit hervorragendem Kuchen geben soll. Ein Stück Kuchen essen, wäre jetzt toll.
Anscheinend habe ich das nicht nur gedacht, sondern laut ausgesprochen. „Was heißt hier ein Stück Kuchen essen?“ blafft Beach mich an. „Das kannst du machen, wenn du tot bist.“ Er fixiert mich durchdringend von der Seite. „Bist du etwa tot?“ In meinem Zustand bin ich mir nicht ganz sicher, schüttle aber lieber den Kopf. Nicht das Beach mich wieder mit einem Zweig schlägt, um mir schmerzhaft zu zeigen, dass ich noch äußerst lebendig bin.
Nach fast fünfzehn Kilometern und 80 Minuten erreichen wir wieder das Ferienappartement. „Zum Frühstück darfst du den Rest von meinem Smoothie trinken“, erklärt Beach Body. „Habe ich extra für dich übriggelassen. Das ist lecker und bringt Power für den Tag.“ Nie hatte ich größere Zweifel am Wahrheitsgehalt einer Aussage. Ich nicke trotzdem und gehe dann auf Umwegen zum Bäcker.
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Beim Frühstück machen sich bei der Frau und mir erste Ausfallerscheinungen bemerkbar. Auch nach längerem Überlegen kommen wir nicht darauf, welcher Wochentag heute ist. Wir führen das darauf zurück, dass wir bereits nach vier Urlaubstagen (oder sind es fünf?) maximal tiefenentspannt sind und so etwas banales wie Wochentage keine Bedeutung mehr für uns haben. Das klingt auf jeden Fall besser als „Unsere Gehirne haben sich durch die Sonne und den abendlichen Sektkonsum in Kartoffelbrei verwandelt.“
Die Frau meint, sie wäre so urlaubsrelaxt, dass sie gar nicht mehr an die Arbeit dächte. Es wäre ihr sogar vollkommen egal, was im Büro während ihrer Abwesenheit geschieht. (Sollten die Kolleginnen und Kollegen der Frau dies lesen, kann ich Sie beruhigen, dass ich das lediglich aus satirischen Gründen schreibe. Tatsächlich denkt die Frau pausenlos an die Arbeit. Ab und an weint sie sogar, weil sie nicht bei Ihnen sein kann.)
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Da für morgen nicht so tolles Wetter angekündigt ist, beschließen wir, heute nochmal einen ausgiebigen Strandtag einzulegen. Vorher machen wir aber einen Abstecher zur Wyker Dampfschiffs-Reederei. Nächste Woche wollen wir einen Tagesausflug nach Amrum machen und dazu müssen die Karten vorab gekauft werden. Wie Sie vielleicht wissen, wenn Sie meinen Urlaubsblog in den letzten Jahren gelesen haben, passt es mir eigentlich gar nicht, im Urlaub so etwas wie feste Termine zu machen. Das ist voll der Stress. Quasi wie im Büro. Da fühle ich mich gleich ein bisschen ausgebrannt. Kurz vor dem Erschöpfungssyndrom.
Der Ausflug geht nächsten Dienstag um 8.15 Uhr los und es wird zehn Kilometer durchs Watt bis nach Amrum gewandert. Wir freuen uns schon auf die freudestrahlenden Gesichter der Kinder, wenn wir ihnen davon erzählen.
Im Reederei-Gebäude erklären wir am Schalter, dass wir gerne ein Familien-Ticket für die Amrum-Tour hätten. „Wie alt sind die Kinder?“, will der Schalter-Mann von uns wissen. Die Frau und ich müssen beide ein wenig zu lange überlegen, bis wir die Frage beantworten können (Stichwort „maximale Urlaubsentspannung“). Zumindest frage ich aber nicht zurück: „Welche Kinder?“ (Stichwort „Kartoffelbrei-Gehirn“)
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Am Strand macht auch heute wieder allen der heiße Sand zu schaffen. Damit sie eine Vorstellung von den unerträglichen Temperaturen bekommen: Die Extremsportlerin Alison Teal ist im letzten Jahr quasi auf glühender Lava gesurft, würde sich aber nicht trauen, mit ihrem Brett auf dem Föhrer Sand in Richtung Meer zu rutschen, aus Angst ihr Board könnte schmelzen. Derweil spielt im Hintergrund die Kur-Kapelle und liefert mit Johnny Cashs „Ring of Fire“ den Soundtrack für den heutigen Tag.
In der Strandkorbreihe vor uns erzählt ein Mann aus der 178, „zu allem Unglück“ sei auch noch die Klimaanlage im Auto kaputtgegangen. Ich würde einen Tag am Meer bei wolkenlosem Himmel ja nicht gerade als „alles Unglück“ bezeichnen, aber die anderen Strandkörbler nehmen an der nicht mehr funktionstüchtigen Auto-Klimaanlage sehr großen Anteil. Fast wie bei dem Beinwunden aus unserem Nachbarstrandkorb.
Apropos Beinverletzung: Es war im Übrigen die Frau die gestern in Erfahrung brachte, wie es zu der Wunde kam. Das soll hier entsprechend gewürdigt werden, da das im gestrigen Beitrag zu kurz kam. Nur weil sie schambefreit genug war, fast in den Nachbarstrandkorb zu kriechen, um der dortigen Unterhaltung besser zu folgen, wissen wir, dass das versehrte Bein von einer bakteriellen Infektion herrührt. Beziehungsweise, dass uns das weisgemacht werden soll (Stichwort „aggressive Krake“).
Im Strandkorb zu unserer Rechten fabuliert gerade der Anwaltssohn, dass der HSV diese Saison vielleicht Zweitligameister wird und den DFB-Pokal gewinnt und im nächsten Jahr dann das Triple aus Deutscher Meisterschaft, Europa League und Pokalsieg erringt. Ich bin kurz davor, rüberzugehen und seinen Eltern zu sagen, sie sollen mit ihm mal zu einem Spiel des HSV gehen, damit sich der Junge einen Eindruck von der Leistungsfähigkeit der Mannschaft machen kann, und er aufhört, solch einen hanebüchenen Unsinn zu erzählen.
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Gegen Mittag essen die Frau und ich ein paar Pflaumen. Ein bisschen Obst im Urlaub kann ja nicht schaden – obwohl es für diese Annahme keinen hundert Prozent überzeugenden wissenschaftlichen Beweise gibt. Vielleicht hilft es auch gegen unsere zerebralen Ausfallerscheinungen. Vielleicht fallen uns dann auch wieder die Namen unserer Kinder ein. (Ein Mädchen und ein Junge. Glaube ich zumindest.)
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Weil ich mich im Meer abkühlen möchte, bitte ich die Frau, mich huckepack zum Wasser zu tragen. Sie lacht aber nur laut (fast schon ein wenig ordinär). Wozu heiratet man eigentlich, wenn die Gattin einem nicht einmal den kleinsten Wunsch erfüllt? Und zählt es inzwischen nicht mehr zu den schlechten Zeiten, in denen sich die Eheleute beistehen sollen, wenn man über grillkohleheißen Sand zum Meer gehen muss? Bei der nächsten Frau muss ich da besser aufpassen. Die 19-jährige Probephase vor unserer Hochzeit war anscheinend nicht ausreichend.
Irgendwie schaffe ich es dann alleine ins Meer. Da es draußen so heiß ist, fühlt sich das Wasser noch kälter an als sonst. Das bringt zwar eine nette Abkühlung, erschwert aber den Einstieg ins Wasser erheblich. Das Peinlichkeitslevel liegt daher heute im Vergleich zu gestern wieder etwas höher. Ungefähr bei „Während des Personalgesprächs mit dem Chef einschlafen“.
Außerdem machen mir meine Badeshorts zu schaffen, die ich zu fest zugebunden habe. Dadurch kommt Luft an den Beinen rein, aber oben nicht raus, so dass sich die Shorts unförmig aufblähen und ich aussehe, als hätte ich mir die Badehose des Michelin-Männchens ausgeliehen. Irgendwann entweicht die Luft dann eruptionsartig an den Beinen und ich treibe im Wasser wie ein Biber mit Blähungen. Das ist zwar etwas peinlich (Level „Im Sternerestaurant nach einem Schluck Champagner rülpsen“), aber ich habe danach wenigstens jede Menge Platz im Wasser für mich alleine.
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Am späten Nachmittag stellt die Frau fest, dass im Judo-Camp gerade die Gürtelprüfungen stattfinden. Wenn nichts schiefläuft, hat die Tochter heute Abend einen Orangegurt und der Sohn einen Blaugurt. Wir würden den beiden ja gerne alle Daumen drücken, aber beim Eisessen geht das gar nicht so gut. Naja, wird wohl auch so klappen. (Spoiler: Hat es auch.)
Gegen 18 Uhr verabschiedet sich die Familie des Kathy-Bates-Verschnitts aus dem Strandkorb hinter uns von den anderen Urlaubern. Sie reisen morgen früh ab. Schade eigentlich, wir hatten uns so an die durchdringende Stimme der Frau gewöhnt. Dadurch war sie immer gut zu hören. Selbst auf größere Entfernungen und im Meer.
Vielleicht können wir morgen ein kleines Audio-Casting durchführen, bevor der Strandkorb neu belegt wird. Mit besonderem Augenmerk auf deutliche Aussprache, Lautstärke und Stimmlage. Es wäre doch sehr anstrengend für uns, wenn dort ein paar flüsternde Nuschler einzögen.
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Kurze Zeit später verlassen wir den Strand und liefern zuhause schnell die Strandtasche ab, bevor wir zum Supermarkt gehen. In der Wohnung stelle ich fest, dass auf meinem T-Shirt ein nicht zu übersehender Eisfleck prangt. Ich überlege, ob ich mich schnell umziehen soll, entscheide mich aber dagegen. Das wäre mir einfach zu viel Stress.
Urlaubsverwahrlosungsgrad: Vor dem Einkaufen einen Eisfleck auf dem T-Shirt entdecken und sich trotzdem nicht umziehen.
— Familienbetrieb (@Betriebsfamilie) 27. Juli 2018
Die Lektion für den heutigen Tag lautet daher: „Wenn dir das Leben schon kurze Hosen zum Einkaufen gibt, ist es auch egal, wenn du obenrum wie ein Batik-Hippie aussiehst.“
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Nach dem Abendessen gehen die Frau und ich nochmal zurück zum Strandkorb. Wir schauen uns die Mondfinsternis an. Das Kniffeln muss dafür leider ausfallen. Ist für die Frau aber auch besser, denn statistisch gesehen, müsste ich heute in jeder Runde über 300 Punkte erzielen.
Gute Nacht!
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Den guten Kuchen gibt’s in Oldsum. In Midlim gibt es hervorragenden Matjes im Dorfkurg. So langsam fühle ich mich so, als würde meine Familie ausschließlich wegen des ausgezeichneten Essens nach Föhr fahren 💁🙈
Ein Grund mehr, die ganze Insel abzuradeln.
Oh Amrum ist toll, da bin ich ja glatt ein wenig neidisch! Viel Spaß 🙂
Danke schön!
Nicht nur in Olddum gibt es super Kuchen. Alte Schule , Cafe in Midlium hat auch einen süßen Garten, mit lauschigen Nischen und wunderbarem Kuchen. Naturstrand in Hedehusum ist herrlich ruhig.