Noch zwei Tage, dann ist es wieder so weit: Der alljährliche Familienurlaub. Diesmal leider ohne unsere Freunde aus Bonn. Diverse Bauernhof-Aufenthalte, Judo-Camps sowie Besuche bei Großeltern ließen sich nicht so koordinieren, dass wir zwei gemeinsame Wochen zum Verreisen finden konnten. Und unsere Anträge bei den jeweiligen Kultusministerien, die Sommerferien in Nordrhein-Westfalen und Berlin auf zehn Wochen auszudehnen, wurden aus nicht nachvollziehbaren Gründen abgelehnt. Bürokratische Kleingeister! Da muss sich dann auch niemand wundern, wenn die Politikverdrossenheit steigt und die Wahlbeteiligung sinkt.
Nach vier Jahren Bretagne- oder Nordseeurlauben wollen wir dieses Jahr endlich mal wieder Sonne satt haben. Wir wollen am Strand brutzeln wie die gleichnamigen Würstchen und testen, was die Sonnencreme mit dem Lichtschutzfaktor 50 taugt, die wir schon vor Jahren für teures Geld erworben haben, aber nie benutzen mussten.
Als Urlaubsdestination haben wir Griechenland ausgewählt, genauer gesagt Psakoudia. Dort waren wir bereits vor fünf Jahren in den Herbstferien. Der damalige Urlaub hat uns landschaftlich, klimatisch und kulinarisch außerordentlich gut gefallen. Da kann man dann auch nochmal hinfahren, haben wir uns gedacht. Mit zunehmendem Alter wird man ja ohnehin immer weniger experimentierfreudig, was die Wahl des Urlaubsortes angeht. Der normale Alltag mit präpubertierenden Kindern ist schon aufregend genug, da will man im Urlaub keine böse Überraschung erleben, wenn sich das ‚luxuriöse Ferienappartement‘ als vermoderte Bruchbude entpuppt oder am ‚idyllischen Strand‘ wilde Besäufnisse gefeiert werden, gegen die der Ballermann wie ein Ausflugsziel für Klosterschülerinnen wirkt.
Psakoudia liegt am Ägäischen Meer auf dem griechischen Mittelfinger. Also, nicht auf dem von Varoufakis, sondern auf Sithonia, der mittleren Landzunge von Chalkidiki.
Der Ort besticht durch einen tollen Strand und eine phantastisch niedrige Einwohnerzahl von weniger als 300 Personen. Das ist ein großer Pluspunkt, insbesondere wenn man tendenziell menschenavers ist. Allerdings sind in der Hauptsaison wohl wesentlich mehr Menschen dort als einem (sprich: mir) lieb ist. Alle Hotelzimmer und Ferienappartements in den zwei Wochen unseres Aufenthalts anzumieten, sieht auf den ersten Blick zwar wie eine kreative Problemlösungsstrategie aus, liegt aber leider außerhalb unserer finanziellen Möglichkeiten.
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Vor dem Urlaub sollte man sich als gebildeter Mensch ein wenig mit dem Land beschäftigen, in das man zu reisen gedenkt. Da mir aber sowohl die Zeit als auch die intellektuelle Tiefe für die Lektüre kulturhistorisch wertvoller Reiseführer fehlen, begnüge ich mich mit dem guten alten Assoziationsspiel: Man schreibt in 30 Sekunden alle Begriffe auf, die einem zu dem Land einfallen und dann verfasst man einen Text dazu, ohne zusätzlich im Internet zu recherchieren. (Es ist allerdings zu empfehlen, vorab diejenigen Begriffe aus der Liste zu streichen, die einen als intoleranten vorurteilsbehafteten Xenophoben erscheinen lassen.)
Die Hauptstadt von Griechenland ist Athen. Dort gibt es laut Volksmund sehr viele Eulen, weswegen es sinnlos ist, die guten alten Nachtvögel dorthin zu tragen. Und laut Nana Mouskouri gibt es dort weiße Rosen, die „Auf Wiedersehen“ sagen. Das scheint weltweit einzigartig zu sein. Zumindest sind mir sonst keine Blumen bekannt, die des Redens mächtig sind.
Das Antike Griechenland gilt als prägend für die europäische Zivilisation und Kultur und als Geburtsstätte der Demokratie. Wobei der Begriff ‚Herrschaft des Volkes‘ doch etwas sehr euphemistisch ist, waren Frauen zu dieser Zeit – ebenso wie Sklaven – von den Wahlen ausgeschlossen.
Im damaligen Griechenland wimmelte es nur so von Gelehrten, Schöngeistern, Lyrikern und Denkern. Sokrates, Plato, Archimedes, Pythagoras, Homer, Heraklit, Thales, Solon, Kleisthenes usw. usf. etc. pp. Die Liste ließe sich unendlich fortsetzen. Das reinste Intellektuellen-Who-is-Who.
Hätte es in der Antike eine Philosophie-Weltmeisterschaft gegeben, Griechenland wäre jahrzehntelang unschlagbar gewesen. Gewissermaßen das Brasilien unter den Philosophen-Teams. Also, das Brasilien Peles, welches sein Publikum mit ihrer Fußballkunst verzauberte, nicht das Brasilien der Hulks, Dantes und Luis Gustavos, das sich mit 7:1 aus dem eigenen Stadion schießen lässt.
Im Gegensatz zu seinem antiken Vorfahren ist das gegenwärtige Griechenland weniger gut beleumundet. Es gilt vielen als prägend für eine EU der Haushaltsdefizite und wenn schon nicht als Geburtsstätte dann doch als Brutstätte des flexiblen Umgangs mit der Steuergesetzgebung und der Unfähigkeit, das marode Staatsbudget zu sanieren. Zumindest findet das die BILD-Zeitung. Daher ereifert sie sich seit Jahren über immer ausuferndere Rettungsschirme und darüber, dass deutsche Steuermilliarden aufgewendet werden müssten, um den griechischen Staatskollaps zu verhindern. Aber wer gibt schon etwas auf die BILD-Zeitung.
Die Griechen sind ohnehin viel besser als ihr Ruf. Von unserem letzten Urlaub habe ich sie als sehr gastfreundschaftlich, zuvorkommend und hilfsbereit in Erinnerung. Persönlich kenne ich aber nicht so viele Griechen. Eigentlich nur einen. Janni, einen der Kommunarden des Blogger-Kollektivs ‚Ich bin dein Vater‘. Ein super netter Typ, der immer gut gelaunt ist und eine ansteckende Fröhlichkeit besitzt. Seit ein paar Jahren besitzt er auch die deutsche Staatsbürgerschaft und bei der zeremoniellen Übergabe der Einbürgerungsurkunde musste er mit dem Kölner Oberbürgermeister kölsche Lieder singen. So wird der Integrationswillen ausländischer Mitbürger aufs Äußerste strapaziert. Kritisch anzumerken ist allerdings, dass Janni Fan des 1. FC Köln ist, aber vielleicht ist das eine besondere Form des Stockholm-Syndrom.
Apropos schlechter Fußball. 2004 wurde Griechenland mit einer für die Liebhaber des attraktiven Rasenballsports nur schwer erträglichen Defensiv-Taktik vollkommen überraschend Fußball-Europameister. Die größte Sensation der Sportgeschichte seit 1984, als ich bei den Bundesjugendspielen eine Siegerurkunde errang.
Ohnehin gibt es eine lange Sporttradition in Griechenland, denn schließlich wurden dort die Olympischen Spiele erfunden. Diese sollten die innerstaatliche Einheit befördern und den Stadtstaaten, die sich unablässig bekämpften, mal eine Pause von ihren kriegerischen Auseinandersetzungen geben. Daher gab es alle vier Jahre einen Waffenstillstand und die Griechen kamen zu den Olympischen Spielen zusammen, wo sie sich in unterschiedlichen Wettkämpfen maßen. Diese endeten allerdings nicht selten tödlich, was dem friedenstiftenden Charakter der Spiele ein wenig abträglich war.
Nicht tödlich ist die griechische Küche. Ganz im Gegenteil. Da sie größtenteils aus Gemüse und Fisch besteht, gilt sie fast schon als lebensverlängernd. Das verhindert aber die Verwendung von Olivenöl in industriellen Mengen. Somit ist der Ouzo ein zwingend nötiger Abschluss einer jeden Mahlzeit (inkl. Frühstück). Nicht um die Verdauung anzuregen, sondern um trotz unerträglichen Völlegefühls in den Schlaf zu finden.
Der exzessive Gebrauch von Olivenöl kann auch als Subventionsmaßnahme für die griechische Wirtschaft verstanden werden. Schließlich basiert das Bruttosozialprodukt Griechenlands zu 90 Prozent auf dem Olivenanbau. (Die restlichen 10 Prozent werden durch die Schafskäseproduktion erbracht.) Da selbst die Ausfuhr von Gigatonnen von Oliven nicht zu nennenswerten Exportüberschüssen führt, sind wir dann wieder beim Thema wirtschaftliche Probleme und Haushaltsdefizit.
Bevor ich durch weitere fragwürdige Assoziationen die deutsch-griechischen Beziehungen nachhaltig beschädige und der griechische Botschafter mich zu sich zitiert, breche ich dieses Experiment lieber ab. Stattdessen bereite ich unseren Urlaub vor, damit wir unser Geld in Griechenland ausgeben können. Da freut sich dann auch der Botschafter.
Gute Nacht!
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Alle Beiträge des Griechenland-2016-Tagebuchs gibt es hier.
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Beim ersten Laden “Mittelfinger” lesen und dann das Bild mit den drei Bratwürsten sehen, macht schöne Bilder in meinem Kopf. Zwei Ouzo dann nochmal, bitte!
johnny
Jeder sieht, was er sehen will. Oder so ähnlich.
Für mich bitte auch zwei Ouzo.
Juhu. Endlich wieder Urlaubsbeiträge.
Viel Spaß, viel Sonne und viel Erholung. :-)
Vielen Dank!
Jeah, lang ist es her, endlich wieder Urlaubsbeiträge. Viel Spaß euch. Gibt es denn Kniffel am Abend oder fällt das dieses Jahr ins Wasser, weil die Bonner Freunde nicht mit dabei sind? :D
LG
Vielen Dank. Die Kinder sind inzwischen alt genug, dass sie auch kniffeln können (müssen).
Hallo,
Wir waren dieses Jahr auch schon in Griechenland. Es war super schön.
Da ihr ja zum Mittelfinger fliegt muss ich diesen gleich mal heben. Man sollte Sonnencreme nicht länger als ein Jahr verwenden. Auch wenn es teuer ist jede Sommer neue zu kaufen. Aber der Schutz ist nach einem Jahr nicht mehr zu 100% gegeben. Und die Sonne in Griechenland ist echt heftig.
Ich wünsche euch einen traumhaften Urlaub. Ich beneide euch. Mein Mann schleppt mich nach Irland….
Lg Ka
… ja, und Gegrilltes ;-) besser lässt es sich im Urlaub kaum aushalten – und wer das nicht glaubt, bekommt den Mittelfinger präsentiert. In diesem Sinne schönen Urlaub!!
Vielen Dank!