¡Hola España! – Barcelona (1) (05.09.): Immer geradeaus (Teil 2)

Teil 1


Wir gehen weiter und wollen zum Stadtstrand. Meine Frau war letztes Jahr auf ihrer Barcelona-Dienstreise bereits dort und kam auf dem Weg dorthin durch ein schönes Viertel. Dieses Stadtspaziergang-Erlebnis möchte sie nun rekonstruieren. Im November sei sie immer geradeaus gelaufen und nach einem kurzen Blick auf Google Maps meint sie, das müsste diesmal auch klappen.

Ich finde das nicht ganz logisch. Dazu müssten wir ja ungefähr vom gleichen Punkt starten wie sie seinerzeit. Im Gegensatz zu mir kann meine Frau aber mit der Autorität ihres einen Barcelona-Besuchs sprechen. Ich war vor fünfzehn Jahren lediglich mal in Madrid, was mir keinerlei Kompetenz-Pluspunkte bezüglich der Stadtgeographie Barcelonas einbringt. Folglich behalte ich meine Bedenken für mich.

Wir gehen also geradeaus. Eine sehr breite Straße entlang mit breiten Radwegen und breiten Bürgersteigen. Dann weiter geradeaus und noch mehr geradeaus. Ein Schild bewirbt den städtischen Zoo. Die Richtung zeigt aber nicht geradeaus, so dass wir ihn nicht sehen werden.

Wir kommen an einem Uni-Gebäude vorbei. Eine Bibliothek oder eine Mensa. Keine Ahnung. Ich kann mich nicht mehr so gut konzentrieren. Vom vielen geradeaus laufen bin ich etwas erschöpft.

Ich frage meine Frau, wie weit es noch ist. „Nicht mehr weit“, sagt sie und hält mir ihr Handy vors Gesicht. „Nur noch ein paar Zentimeter.“ Ich überlege, ob dies der richtige Zeitpunkt ist, um sie darauf aufmerksam zu machen, dass auf einem Handydisplay alles nur ein paar Zentimeter entfernt ist, und komme zu dem Schluss, dass er es nicht ist.

Allmählich meldet sich bei uns ein kleines Hüngerchen. Das ist ein Problem. Mit Hunger kann meine Frau nicht so gut umgehen. Sie wird dann ein bisschen unleidlich. (Das schreibe ich mit der mir größtmöglichen Zuneigung, auf der unsere 27-jährige Partnerschaft basiert.) Mir macht Hunger nicht so viel aus. Allerdings kann ich hungrig mit der Hungerunleidlichkeit meiner Frau nicht so gut umgehen. Somit bedroht unser Kaloriendefizit die eheliche Harmonie und damit auch die gute Urlaubsstimmung.

Wir beschließen, zu McDonald’s zu gehen, um den nächsten Punkt von unserer Städtereisen-Liste zu streichen. Ein Besuch bei dem US-amerikanischen Fast-Food-Riesen ist ohne Frage in vielerlei Hinsicht problematisch: kulinarisch, kalorisch und ökologisch, um nur ein paar Punkte zu nennen.

Im Ausland bei McDonald’s zu essen, ist geradezu kulturlos, frevelhaft und ignorant. Wie sollst du etwas über eine andere Kultur lernen, wenn du zu einem global agierenden Einheits-Burger-Bräter gehst? Gerade dadurch, denn aus ethnologischer Sicht ist aufschlussreich, welche landesspezifischen Burger, Speisen und Angebote dort angeboten werden.

Im spanischen McDonald’s stehen beispielsweise ein paar Desserts auf der Karte, die ich aus Deutschland nicht kenne. (Was auch daran liegen könnte, dass ich in Deutschland nicht so oft zu McDonald’s gehe und keinen aktuellen Überblick über die dortige Auswahl habe.) Zum Beispiel frittiertes Schmalzgebäck, das mit Vanille- oder Schokocreme gefüllt ist. Das wäre in Deutschland schon deshalb nicht möglich, weil man sich nicht einigen könnte, wie das heißt: McBerliner, McPfannkuchen, McKrapfen oder McKreppel.

Wirklich überraschend ist die spanische McDonald’s-Speisekarte aber in anderer Hinsicht: Wir finden keinen einzigen vegetarischen Burger. Ich google extra, ob das wirklich so ist oder wir einfach zu doof sind. Sind wir nicht. Wenn du hier fleischlos essen möchtest, musst du zu Pommes in unterschiedlichen Variationen greifen und aufpassen, dass du dazu nicht versehentlich die Käsesauce mit Schinkenstückchen nimmst. Oder du wählst die Schmalzbällchen, aber das ist als Mittagessen auch nicht das Wahre.

Als moralisch flexibler Vegetarier entscheide ich mich für den Hamburger Royal, für das gute Gewissen in der TS-Variante mit Tomate und Salat. Geschmacklich kann ich keinen Unterschied zu seinem deutschen Kollegen feststellen.

Eines haben McDonald’s-Besuche in allen Ländern gemein: Das Essen schmeckt auf seine eigene, spezielle Weise okay, aber du verlässt den Laden immer mit schlechtem Gewissen. Weil du dir gerade ungesunden Scheiß reingepfiffen hast und außerdem weißt, dass du in einer halben Stunde wieder Hunger hast.

Nun ja.

Nach unserer Expedition in die spanisch-US-amerikanische Systemgastronomie finden wir doch noch den Stadtstrand. Auf dem Meer findet gerade eine Louis-Vuitton-Soundso-Regatta statt. Für Laien ist kaum nachvollziehbar, was da passiert. Ein paar große Segelboote fahren von links nach rechts, ein paar andere von rechts nach links. Trotzdem verfolgt eine nicht unerhebliche Menge das Geschehen auf dem Wasser, einige sogar mit monströs großen Feldstechern.

Am Ufer ist eine riesige Leinwand fürs Public Viewing aufgebaut, ein Mann kommentiert, damit alle wissen, wann es spannend wird. Ab und an brandet Szenenapplaus auf.

Das Publikum ist männlich geprägt mit einer hohen Dichte an braunen Lederslippern, weißen Bermudas und langärmligen Ralph-Lauren-T-Shirts. Die Uniform der Besser- und Bestverdienenden.

Der Strand ist gut gefüllt. Fliegende Händler laufen durch die Menge und bieten ihre Waren und Dienstleistungen an. Softdrinks, Tücher, Massagen, Flechtfrisuren, Bier, Sangria, Cocktails und vieles mehr.

Niemand kauft etwas. Wer will schon Sangria, Caipirinha oder Mojito trinken, der seit zwei Stunden durch die spätsommerliche Nachmittagshitze getragen wurde?

Alles ist verboten.

Nach dem Stadtstrand wollen wir noch auf einen Aussichtspunkt, um Barcelona von oben anzuschauen. (Siehe Punkt 1 der Städtereisen-Liste) Die Mit-Vergnügen-Seite „Barcelona-Geheimtipps (sic!) – 11 Orte abseits der touristischen Ecken“ schlägt dafür den Parc Carmel vor. Der liegt oberhalb des bekannteren Parc Güell, den ebenfalls der Baumeister-Tausendsassa Antoni Gaudi entworfen hat, und kostet im Gegensatz zu diesem keinen Eintritt. Das freut den kostenbewussten Urlauber – sprich mich.

Google Maps gibt die Entfernung vom Strand zum Park mit ungefähr sechs Kilometern und anderthalb Stunden Fußmarsch an. Wenigstens nicht immer geradeaus.

Als wir nur noch einen Kilometer entfernt sind, liegt die Zeitdauer laut Google bei 28 Minuten. Das finde ich ziemlich üppig bemessen und wundere mich, ob das die Angabe für Rollatoren-Senior*innen. Aber nur bis ich den Anstieg sehe, den wir noch bewältigen müssen. Ich weiß nicht, wie viel Prozent die Steigung hat, glaube nun aber zu wissen, wie sich Tour-de-France-Fahrer fühlen, wenn sie nach Alpe d’Huez hoch radeln. Besser als wir.

In Trippelschritten schleichen wir den Berg hinauf. Zwischendurch überholen wir einen jungen Mann, der den größten Joint raucht, den ich je gesehen habe. Cartoonhaft groß. So groß, dass Markus Söder vor Wut seinen Maßkrug gegen die Wand werfen würde. Vielleicht halluziniere ich das auch nur.

Beim Parc Güell angekommen, haben wir es fast geschafft. Denken wir. Weil wir nicht mit den Treppenstufen gerechnet haben, die den restlichen Hügel hochgehen. Und schon gar nicht mit so vielen Treppenstufen. Mehr als 300. Es sind 320, um genau zu sein. Ich habe sie gezählt.

Während wir langsam Stufe für Stufe nehmen, kommt ungefähr auf der Hälfte ein Jogger an uns vorbeigesprungen. Mieser Streber.

Oben werden wir tatsächlich mit einem phantastischen Blick über Barcelona belohnt. Die Sagrada Familia ist zu sehen, der Stadtstrand, die quadratisch angelegten Stadtviertel und der Torre Agbar, ein 142 Meter hoher Wolkenkratzer, der eine nicht zu leugnende Ähnlichkeit mit einem Riesendildo aufweist.

Abendessen in der Hasta los Andares, einer Tapas Bar, die meine Frau bei Google gefunden hat und die mit den Vorzügen „fußläufig zum Hotel“ und einer 4,8-Sterne-Bewertung aufwarten kann.

Die Bar ist eng, trubelig, erstaunlich hell, aber trotzdem nicht ungemütlich. Hinter der Theke schauen wir einer Frau bei der Tapas-Zubereitung zu. Ein beruhigendes Zeichen, wenn die Küche nichts zu verbergen hat.

Wir bestellen eine Auswahl an Käse sowie Wurst und Schinken, dazu gibt es katalanisches Brot mit Tomate. Ich habe keine Ahnung, was wir da genau essen – obwohl der Kellner uns es erklärt hat –, aber alles ist köstlich. Dazu trinken wir Sangria, das erste Mal in unserem Leben. Meine Frau findet, es schmeckt ein wenig nach Glühwein, nur in kalt, bizzelig und lecker. Und nach mehr, so dass wir Nachschub ordern.


Bilanz des Tages

  • 4 Stunden Zug gefahren
  • 6 Stationen mit der U-Bahn zurückgelegt (1x umgestiegen)
  • 26.717 Schritte und 21,9 Kilometer gelaufen
  • 320 Stufen hochgegangen
  • 320 Stufen runtergegangen
  • 3 Sangria getrunken

2 Kommentare zu “¡Hola España! – Barcelona (1) (05.09.): Immer geradeaus (Teil 2)

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