Der alljährliche Urlaubsblog. Aus Spanien. Nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Falls Sie, aus welchen Gründen auch immer, alle Beiträge des ¡Hola España!-Blogs lesen möchten, werden Sie hier fündig.
Kurz nach 7. Heute kein Weckerklingeln, wache von allein auf. Gehe auf den Balkon. Kaffee und Meerblick. Die Sonne noch nicht draußen, der Wind schon. Frisch. Septembermorgen.
Noch mag ich mich nicht so recht mit dem Gedanken anfreunden, laufen zu gehen. Unten marschieren zwei Frauen mit Handtüchern unter den Armen Richtung Strand. Frühschwimmer*innen. Somit gehen mir die Entschuldigungen aus, mich vor dem Sport zu drücken.
Nach der gestrigen langen Einheit sieht der Trainingsplan heute einen Erholungslauf vor. Fünfzehn Kilometer. Den Zusammenhang mit der Erholung muss mir der Plan noch erklären. Das Tempo soll gemütlich langsam sein. Ich war gestern schon ziemlich langsam. (Aber ohne Gemütlichkeit.) Um das zu unterbieten, müsste ich gehen. Oder sitzen.
Schlage den Weg Richtung Cambrils ein. Der Himmel ist nahezu wolkenlos, die Luftfeuchtigkeit nicht so hoch und ein erfrischender Wind weht. Natürlich von vorne.
Aus einer Bäckerei weht der Duft von frischen Brötchen hinüber. Ich versuche mir einzureden, dass das Doping fürs Gehirn ist. Klappt nur mäßig.
Mir fällt nach zwei Tagen Laufen auf, dass sich hier unter Läufer*innen wenig gegrüßt wird. Letztes Jahr in Portugal Jahr war das anders, da wurde bei immer die Hand zum Gruße gehoben. Manche machten auch das Victoryzeichen. Okay, das war nur ich, wenn ich Probleme mit der Finger-Hand-Koordination hatte.
In verschiedenen Frankreich-Urlauben habe ich ebenfalls eine sehr enthusiastische Grüßkultur unter Jogger*innen erlebt. Einige waren kurz davor, mir die Hand zu schütteln.
Auf der Strecke zwischen Salou und Cambrils wird dagegen wie in Berlin gegrüßt: sparsam bis gar nicht. Allenfalls ein angedeutetes Nicken. In der deutschen Hauptstadt liegt das an der regionaltypischen Stoffeligkeit, hier auf der Promenade verhindert die schiere Masse das ausgiebige Grüßen. Würde ich allen anderen Läufer*innen winken, hätte ich am nächsten Tag Oberarmmuskelkater aus der Hölle.
Am Strand kurz vorm Hafen in Cambrils ist eine Freelatics-Anlage aufgebaut. Mit Ringen, Klimmzugstangen, schrägen Liegen für Bauchmuskelübungen und allem, was du brauchst, um den Körper zu quälen und zu stählen. Auf der Promenade oberhalb der Gerätschaften macht ein Typ gerade Handstand. Er trägt kein Shirt, an seinem Oberkörper zeichnen sich Muskeln ab, von denen ich mir sicher bin, sie nicht zu haben.
Anschließend macht er eine sehr breite, sehr tiefe Kniebeuge und verharrt in dieser Position. Ich könnte ihm im Vorbeilaufen einen kleinen Schubs geben, dann würde er nach vorne umkippen. Aber das wäre fies. Und unklug. Bestimmt ist er schneller als ich. Und er hat diese Muskeln, die mir fehlen.
Nach rund anderthalb Stunden bin ich zurück an unserer Ferienwohnung. Ich würde den Lauf nicht gerade als Erholung bezeichnen, aber zumindest als geruhsamer im Vergleich zu gestern.
„Mist.“ Das war die Reaktion meiner Frau, als wir gestern den Strand verließen und der Riemen ihres linken Flip-Flops riss. Oder ihres rechten, das weiß ich nicht mehr so genau, aber das tut nichts zur Sache. Vielleicht war das die Strafe dafür, dass sie sich morgens über die älteren Damen und deren Flip-Flop-Geschlurfe mokiert hat.
Um für Flip-Flop-Nachschub zu sorgen, unternehmen wir vormittags einen Spaziergang nach Salou. An der Promenade bauen die Händler gerade ihre improvisierten Stände auf. Mit Fake-Fußballtrikots, Fake-Schuhen, Fake-Handtaschen, Fake-Unterhosen, Fake-Uhren, Fake-Allem.
Ich frage mich, wer so etwas kauft, dabei weiß ich die Antwort schon: der Sohn. Letztes Jahr in Lissabon holte er sich ein Fake-Trikot der portugiesischen Nationalmannschaft und eins von Sporting Lissabon. Weil er sich die Originale nicht leisten konnte – trotz großzügigem Urlaubsgeld der Großeltern – und weil wir sie ihm nicht leisten wollten.
Eigentlich ist das ein rebellischer Akt, Fake-Trikots für 20 Euro statt Originale für 150 zu kaufen. Gegen den Kapitalismus, gegen den Kommerz und gegen den Ausverkauf des Fußballs. Vielleicht bringen wir dem Sohn ein Fake-Trikot vom FC Barcelona mit.
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Der Flip-Flops-Kauf gestaltet sich herausfordernder als gedacht. Meine Frau hat gewiss nicht die allergrößten Füße der Welt, aber auch nicht die allerkleinsten. (Wobei sie eher zu den allerkleinsten als den allergrößten tendiert.)
Bei Größe 36 denken Flip-Flops-Designer anscheinend an Frauen und bei Frauen denken sie, deren Lieblingsfarbe muss rosa sein. Zumindest hängen davon sehr, sehr viele an den Ständern der Läden. Möglicherweise ein Hinweis, dass Frauen gar keine rosa Flip-Flops mögen, weswegen diese ein Leben als Ladenhüter fristen müssen.
Im fünften Geschäft hat meine Frau Glück und findet ein passendes Paar in lebensbejahendem Schwarz. Sogar von Havaianas. Der Preis von fünf Euro lässt allerdings darauf schließen, dass es Fake-Havaianas sind. Die Qualität ebenso, nach nur 500 Metern hat meine Frau schon eine Blase zwischen den Zehen. Ich denke nicht, dass die neuen Flip-Flops die Heimreise nach Berlin mit uns antreten werden.
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Nachdem der Flip-Flops-Kauf abgeschlossen ist, schaut meine Frau nach Taucherbrillen. Wenn sie im Meer schwimmt, möchte Sie gerne sehen, was unter ihr so passiert.
Wir gehen zu einem der typischen Touristen-Shops, wo du alles bekommst, von Strandspielzeug über T-Shirts, Schuhe, elektronischen Kleingeräten, gekühlten Getränken, Süßigkeiten und Chips bis zu Souvenirs, die auf keinem Fall am Urlaubsort, nicht einmal im Urlaubsland oder in Europa, sondern irgendwo in Asien hergestellt wurden.
Der Shopbetreiber spricht uns an, meine Frau erklärt, wir sprächen leider kein Spanisch. Der Mann sagt, das sei kein Problem, deutet auf die Taucherbrillen und fragt: „Do you need for you or for children?“ „For me“, erwidert meine Frau. „Do you need a good one or a normal one? “ „Normal is enough. “
Der Mann nimmt eine der Brillen. „This one. It’s not bad and not good. Normal. “ Da sie dunkle Gläser hat, fragt meine Frau: „Do you have one with clear glasses?“
Der Mann holt ein anderes Modell aus dem Regal. „This one. It’s a good one. If you need a more good one, you take this.“ Er zeigt auf ein weiteres Exemplar. Meine Frau erklärt, die „normal good one“ sei ausreichend.
Als wir bezahlen, sagt der Mann: „This is good one. If not okay, I exchange.“
Ich glaube, das war das sympathischste und ehrlichste Verkaufsgespräch, das ich je geführt habe.
Alle Beiträge des ¡Hola España!-Blogs finden Sie hier:
- Vorbereitung (03.09.): Zurück in die Vergangenheit
- Anreise (04.09.): Auf Kaffeefahrt mit der Deutschen Bahn
- Barcelona (1) (05.09.): Immer geradeaus
- Barcelona (2) (06.09.): Saubere Brillen und wütende Kartoffeln
- Ankunft (07.09.): Blick aufs Meer (und ein bisschen Parkplatz)
- Tag 01 (08.09.): Lauf, Christian, lauf
- Tag 02 (09.09.): Do you need a good one or a normal one?
- Tag 03 (10.09.): Dem Meer ist alles egal
- Tag 04 (11.09.): Nationalfeiertagsfeierlichkeiten Fehlanzeige
- Tag 05 (12.09.): Vom Winde gemobbt
- Tag 06 (13.09.): Mein Name ist nicht Bond
- Tag 07 (14.09.): Man spricht kein Deutsch
- Tag 08 (15.09.): Das ganze Leben ist ein Fake. (Zumindest auf der Strandpromenade Richtung Salou)
- Tag 09 (16.09.): Ein Hollywood-Blockbuster für einen Käsekuchen
- Tag 10 (17.09.): Der mittelalte weiße Mann und das Meer
- Tag 11 (18.09.): Kein Regen im Nichts
- Tag 12 (19.09.): Helga, die Schreckliche
- Tag 13 (20.09.): Ein nasser Abschied
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)