Vielleicht wohnen nur wenige Katalanen in Cambrils und bei den vielen ausländischen oder den nicht-katalanischen spanischen Touristen lohnt sich das mit der Nationalfeiertagsfeierei nicht.
Cambrils ist trotzdem ganz schön. Gastronomie und Einzelhandel sind zwar stark auf Tourismus ausgerichtet, aber nicht aggressiv und marktschreierisch, sondern einigermaßen dezent und zurückhaltend. Die Häuser und Hotels sind niedriger als in Salou und es gibt einen schönen Platz, an dem eine große Kirche steht und daneben das Theater, wo das Katzen-Pistolen-Stück aufgeführt wird.
Ich denke, das war nicht unser letzter Besuch in Cambrils. Schließlich müssen wir irgendwo unsere obligatorischen Urlaubsort-Kühlschrankmagneten kaufen. Und der rote Keramikstier, den wir in einem Laden gesehen haben, würde sich gut in unserer Küche machen. Selbstverständlich ironisch.
Nach knapp einer Woche Urlaub bin ich mir sicher, unter allen Tourist*innen mit 90-prozentiger Treffsicherheit die englischen Urlauber*innen erkennen zu können, ohne dass ich sie reden höre. Das liegt nicht an Hardcore-Sonnenbränden und/oder übermäßigem Alkoholkonsum, sondern an Physiognomie, Frisuren und Habitus. (Und manchmal an leichten Sonnenbränden.)
Keine Ahnung, was ich mit dieser Fähigkeit anfangen soll. Mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit Engländer*innen zu identifizieren, scheint mir keine übermäßig hilfreiche Superheldenkraft zu sein. Außer du willst dich von Engländer*innen fernhalten. Dann ist das super. In Irland wäre ich der beliebteste Superheld aller Zeiten.
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Am Strand. Der Wind windet heute stärker als in den letzten Tagen. Das Wellenrauschen ist auch nicht ganz so einlullend wie sonst, sondern etwas energischer. Als riefe das Meer: „Ich kann auch anders.“
Aber noch nicht so doll wie nachts. Da klingen die Wellen etwas bedrohlich, fast schon zornig. Weil das Meer kein Wutkissen zum Hineinbrüllen hat, schreit es seine Aggressionen in die Dunkelheit, um sein inneres Mordor im Zaum zu halten.
In der Ferne ist ein Kind zu hören. Diesmal kein hysterisches Kreischen, sondern ein fröhliches Glucksen und Kichern. Die pure Freude, wenn du Papa nass gespritzt hast. Oder wenn Mama hinter dir herrennt, als wäre sie ein Monster, das dich gleich auffrisst. Oder wenn der Bruder oder die Schwester einen Ball an den Kopf bekommt.
Heute bedaure ich, dass die Tochter und der Sohn nicht mehr so klein sind und diese kindliche Freude nicht mehr haben. Wobei sie sich immer noch kaputtlachen würden, wenn der oder die andere einen Ball an den Kopf bekommt. (Noch mehr bei ihren Eltern.)
Denke mir, während ich am Strand liege, merkwürdige Worte aus:
- Fußpilzragout
- Affentheaterregisseur
- Taschenlampenschirm
- Rosinenbomberjacke
- Wäscheklammeraffe
- Flaschenpostschalter
- Bankautomatenkaffee
- Sonnencrème brûlée
- Klorolle rückwärts
Keine Ahnung, für was das mal nützlich sein wird. Wahrscheinlich für nichts.
Zu meiner leichten Enttäuschung sind während des Abendessens keine Fotosessions am Meer zu beobachten. Erst als wir abräumen, erscheinen zwei Frauen am Strand. Schätzungsweise Anfang 60, mit ergrauten Haaren und schwarzen, wallenden Gewändern. Sie fotografieren und filmen sich gegenseitig, wie sie mit gelupften Röcken an der Wasserlinie entlanglaufen.
Nach etlichen Versuchen sind sie mit dem Ergebnis zufrieden, zum Abschluss machen sie mit Selbstauslöser ein Foto zu zweit. Anschließend verlassen sie den Strand kichernd und gickelnd wie Teenagerinnen. Ob die Influencer-Academy auch Senior*innen-Kurse anbietet?
Bilanz des Tages
- 10,03 Kilometer gelaufen
- 9 Fotos beim Laufen gemacht
- 25.596 Schritte zurückgelegt
- 1 Wildschwein gesehen
- 0 Nationalfeiertagsfeierlichkeiten
- 1 halber Mond am Abendhimmel
- 2 Kniffel geworfen
Alle Beiträge des ¡Hola España!-Blogs finden Sie hier:
- Vorbereitung (03.09.): Zurück in die Vergangenheit
- Anreise (04.09.): Auf Kaffeefahrt mit der Deutschen Bahn
- Barcelona (1) (05.09.): Immer geradeaus
- Barcelona (2) (06.09.): Saubere Brillen und wütende Kartoffeln
- Ankunft (07.09.): Blick aufs Meer (und ein bisschen Parkplatz)
- Tag 01 (08.09.): Lauf, Christian, lauf
- Tag 02 (09.09.): Do you need a good one or a normal one?
- Tag 03 (10.09.): Dem Meer ist alles egal
- Tag 04 (11.09.): Nationalfeiertagsfeierlichkeiten Fehlanzeige
- Tag 05 (12.09.): Vom Winde gemobbt
- Tag 06 (13.09.): Mein Name ist nicht Bond
- Tag 07 (14.09.): Man spricht kein Deutsch
- Tag 08 (15.09.): Das ganze Leben ist ein Fake. (Zumindest auf der Strandpromenade Richtung Salou)
- Tag 09 (16.09.): Ein Hollywood-Blockbuster für einen Käsekuchen
- Tag 10 (17.09.): Der mittelalte weiße Mann und das Meer
- Tag 11 (18.09.): Kein Regen im Nichts
- Tag 12 (19.09.): Helga, die Schreckliche
- Tag 13 (20.09.): Ein nasser Abschied
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)