Das Strandtag ist heute kein Vergnügen. Der Sand wird gegen Beine, Arme und Gesicht geschleudert, was recht schmerzhaft ist. Oder wie meine Frau sagt, die positiv denkt und Wellness affiner ist: „Da bekommen wir ein schönes Peeling.“
Merkwürdigerweise kommt der Sand aus allen Richtungen angeflogen. Von links, von rechts, von oben und von unten. Wahrscheinlich eine Variante des Christian-Phänomens.
Bestimmt haben sich in der Frühe der Nord-, der Süd-, der West- und der Ostwind zusammengesetzt und beschlossen: „Heute piesacken wir den Christian mal so richtig!“ „Genau, beim Laufen, da geben wir ihm ordentlich Gegenwind.“ „Ja, auf dem Hin- und dem Rückweg.“ „Später beschießen wir ihn am Strand volle Granate mit Sand, damit der in allen Körperöffnungen landet.“ „Super Idee, davon hat er bis zum Ende des Urlaubs etwas und noch darüber hinaus.“
Dann haben sich die vier Winde auf die Schenkel geklopft und gelacht, aber nicht sympathisch, sondern hämisch, denn sie sind ganz fiese Mobber.
Ich habe nicht nur unter dem herumfliegenden Sand zu leiden. Obendrein tut meine Nase weh. Nicht weil ich sie mir gestoßen habe oder ich drauf gefallen bin oder zu viel Sand reingeflogen ist. Nein, weil sich darin ein dicker Pickel gebildet hat. Links im linken Nasenloch. Da, wo du nicht gut rankommst. Und wenn du es trotzdem versuchst, siehst du aus wie ein ungehobelter Klotz, der vollkommen schamlos und derbe in der Nase bohrt. Und das möchte man ja nicht: Wie jemand aussehen, der vollkommen schamlos und derbe in der Nase bohrt.
Derweil prasselt der Sand weiter von allen Seiten auf uns nieder. Außerdem zerren die Böen an meinen Klamotten, als wollten sie sie mir vom Leib reißen. Und wenn ich dann nackert daliege, lachen der Süd-, der Nord-, der West- und der Ostwind schadenfroh und zeigen mit dem Finger auf mich.
Eigentlich wäre es besser, den Strandbesuch abzubrechen. Aber meine Trägheit, den Rückweg in die Ferienwohnung anzutreten, ist größer als der Schmerz des peitschenden Sandes. Ich versuche. die widrigen Bedingungen zu ignorieren, schließe die Augen und dämmere vor mich hin.
Die Ignoriererei und Dämmerei klappt so lange, bis mich plötzlich ein Schlag trifft. Ein umherfliegender Klappstuhl ist auf mir gelandet. (Vor meinem geistigen Auge feiern die Winde und klatschen sich ab.)
Circa fünfzehn Meter rechts von uns sitzt ein alter Mann auf einem Klappstuhl der gleichen Marke und hebt entschuldigend die Hände. Er erhebt sich und kommt zu mir rüber. Da er sehr alt ist, dauert das sehr lange. Ich bezweifle, dass er bis zum Ende unseres Urlaubs bei mir ankommt und gehe ihm entgegen, um ihm seinen Stuhl zurückzugeben.
Der Mann entschuldigt sich auf Französisch: „Pardon, pardon, excuse moi.“ Sein Französisch klingt aber nicht wie von einem Franzosen, sondern wie von einem Engländer. (Ich bin mir zu 99 Prozent sicher.) Ich erwidere „Null problemo“, was weder Französisch noch Englisch ist. Nicht einmal Spanisch, sondern Melmacisch.
Wir deuten den umherfliegenden Stuhl als Signal, nach Hause zu gehen. Wir und zehn Tonnen Sand in unseren Klamotten, Haaren, Handtüchern und der Strandtasche.
Trotz des stürmischen Wetters bekommen wir beim Abendessen wieder eine Strand-Fotosession geboten. Eine Frau mit sehr kurzem weißem Kleid und sehr langen schwarzen Haaren – das Ende des Kleids und das Ende der Haare treffen sich knapp unterhalb ihres Pos – nimmt verschiedene Selfieposen ein.
Allerdings verdeckt sie dabei größtenteils eine Palme. Das ist sehr ärgerlich, weil ich dadurch ihren Auftritt nur sehr schlecht sehe. Aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen ist meine Frau nicht bereit, runter an den Strand zu gehen, um das Selfie-Model zu bitten, ihr Shooting fünfzehn Meter nach rechts zu verlagern, damit ich sie besser beobachten kann. Manchmal habe ich den Verdacht, meine Frau hat das mit dem „in guten wie in schlechten Zeiten“ gar nicht ernst gemeint.
Später kommen drei weitere Frauenduos zum Strand, um sich gegenseitig zu fotografieren und zu filmen. Außerdem nimmt ein Typ seinen Leg Day sehr ernst und hüpft in tiefen Froschsprüngen über den Sand.
Würden wir hier wohnen, bräuchten wir kein Netflix und hätten trotzdem immer etwas zu schauen. Toll.
Bilanz des Tages
- 17,01 Kilometer gelaufen
- 0 Personen überholt
- 2-mal überholt worden
- 20.274 Schritte zurückgelegt
- 1 schmerzender Pickel in der Nase
- 10 Tonnen Sand abbekommen (konservative Schätzung)
- 1 Liegestuhl abbekommen
- 2 Kniffel geworfen
Alle Beiträge des ¡Hola España!-Blogs finden Sie hier:
- Vorbereitung (03.09.): Zurück in die Vergangenheit
- Anreise (04.09.): Auf Kaffeefahrt mit der Deutschen Bahn
- Barcelona (1) (05.09.): Immer geradeaus
- Barcelona (2) (06.09.): Saubere Brillen und wütende Kartoffeln
- Ankunft (07.09.): Blick aufs Meer (und ein bisschen Parkplatz)
- Tag 01 (08.09.): Lauf, Christian, lauf
- Tag 02 (09.09.): Do you need a good one or a normal one?
- Tag 03 (10.09.): Dem Meer ist alles egal
- Tag 04 (11.09.): Nationalfeiertagsfeierlichkeiten Fehlanzeige
- Tag 05 (12.09.): Vom Winde gemobbt
- Tag 06 (13.09.): Mein Name ist nicht Bond
- Tag 07 (14.09.): Man spricht kein Deutsch
- Tag 08 (15.09.): Das ganze Leben ist ein Fake. (Zumindest auf der Strandpromenade Richtung Salou)
- Tag 09 (16.09.): Ein Hollywood-Blockbuster für einen Käsekuchen
- Tag 10 (17.09.): Der mittelalte weiße Mann und das Meer
- Tag 11 (18.09.): Kein Regen im Nichts
- Tag 12 (19.09.): Helga, die Schreckliche
- Tag 13 (20.09.): Ein nasser Abschied
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Melmacisch!
Super Sprache, beste Antwort :-)