Links von uns liegt eine vierköpfige Familie aus England. (Dies weiß ich mit hundertprozentiger Sicherheit, denn sie reden Englisch) Aus der schwarzen Badeshorts des Vaters hängt hinten das Etikett raus. Normalerweise verspüre ich bei so etwas den starken Drang, den Zettel in die Hose zu stecken. Da der Rücken des Mannes aber sehr, sehr stark behaart ist – eine Mischung aus Braunbär und Flokati-Teppich – hält sich mein Bedürfnis diesmal in Grenzen.
Der ältere Sohn der Familie ist schätzungsweise Anfang zwanzig und geistig leicht behindert. Er sitzt mit verschränkten Armen auf einem Klappstuhl unter einem Sonnenschirm und schaut aufs Meer. Manchmal pfeift er eine der Tauben an, die hier über den Strand trippeln, ab und an isst er ein paar Chips. Jedes Mal, wenn sein Papa im Wasser von einer Welle überrascht wird, kichert er glucksend. Ich glaube, er hat einen guten Tag.
In der Ferne jagt eine Gruppe von fünf, sechs Jetski-Fahrern übers Meer. Bestimmt fühlt sich mindestens einer von ihnen dabei wie James Bond. Bei mir wäre das auf jeden Fall so. Allerdings würde ich mich nicht trauen, Jetski zu fahren. (Stichworte: schnelles Gefährt, Wasser, draußen auf dem Meer) Das disqualifiziert mich wohl als James Bond. (Selbst als eingebildeter James Bond.)
Wahrscheinlich ist das auch besser so. So ein Leben als Geheimagent stelle ich mir sehr stressig vor. Verfolgungsjagden, Bomben entschärfen, auf Leben und Tod kämpfen, immer wieder die Welt retten müssen. Kein Wunder, dass die Bond-Darsteller nach ein paar Filmen ausgewechselt werden müssen. (Ich tippe auf Burn-out.)
Die Bond-Girls sind auf Dauer bestimmt auch anstrengend. Die machen nicht den Eindruck, als könnte man mit ihnen gemütlich auf dem Sofa abhängen und Netflix schauen.
Hatte heute meinen fast perfekten Strandtag: Tücher ausbreiten, dösen, schreiben, überlegen, etwas zu trinken, dösen, lesen, noch mal überlegen, etwas zu trinken, über etwas nachdenken, vergessen, worüber man nachgedacht hat, schreiben, ein Foto vom Meer machen, dösen, schreiben, tatsächlich einen Schluck trinken, dösen, lesen, dösen, einpacken, nach Hause gehen. Nur die Badetücher vorm Meer retten zu müssen, gibt leichte Abzüge.
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Der Influencer-Foto-Hotspot ist zur Abendessenzeit nur spärlich frequentiert. Lediglich die Frau mit dem sehr langen schwarzen Haar ist wieder da. Sie hockt am Wasser und fotografiert die heranziehenden Wellen. Vielleicht ist die heutige Aufgabe in der Influencer-Academy „Natur“. Oder sie sollen Selfies aus sehr unvorteilhaften Winkeln von unten schießen.
Im Hintergrund trainiert der Leg-Day-Typ von gestern und hüpft wieder breitbeinig über den Strand. Wenn der das jeden Abend macht, muss er erstmal 1.000 Sprünge machen, bevor er etwas in den Beinen merkt.
Später kommen zwei Jungs, so um die 18, 19 und fotografieren sich gegenseitig. „Schön, dass das für alle Gender offen ist”, meint meine Frau, so wie sich das gehört, wenn du im Familienministerium arbeitest. Ob sie damit richtig liegt, weiß ich allerdings nicht. Zwei Jungs unter gefühlt 800 Frauen, die hier in den letzten Tagen ihre Selfies geschossen haben, würde ich jetzt nicht direkt als „offen für alle Gender“ bezeichnen.
Die beiden gehen wesentlich forscher als die bisherigen Selfie-Fotografinnen vor. Ein, zwei Posen – verschränkte Arme und kühner Blick nach oben oder einen Arm schräg in die Höhe gestreckt, wie sie sich das bei irgendwelchen Alpha-Male-Trotteln im Internet abgeschaut haben – und fertig ist die Laube. Ob das fürs Examen in der Influencer-Academy reicht?
Als die Dämmerung einsetzt, erscheinen ein paar Fledermäuse in der Apartmentanlage, auf der Suche nach einem kleinen Abendsnack. Eigentlich faszinierend, wie sie im Zickzack-Kurs durch die Lüfte düsen. Kürzlich ist einer ihrer Kollegen allerdings in Moabit zu uns in die Wohnung geflogen. Das hat mich eine Menge Nerven und circa zwei Liter Schweiß gekostet und seitdem stehe ich den kleinen Batmännern skeptisch gegenüber.
Ich hoffe, die spanischen Fledermäuse bleiben in ihrem Tanzbereich, so wie wir in unserem. Ich werde auf jeden Fall nicht durch die Luft jagen und den Fledermäusen die Insekten wegsnacken.
Bilanz des Tages
- 10,04 Kilometer gelaufen
- 17 Fotos gemacht
- 14.282 Schritte zurückgelegt
- 3-mal die Badetücher vor den Wellen gerettet
- 31,51 Euro im Supermarkt ausgegeben
- 1 Kniffel geworfen
Alle Beiträge des ¡Hola España!-Blogs finden Sie hier:
- Vorbereitung (03.09.): Zurück in die Vergangenheit
- Anreise (04.09.): Auf Kaffeefahrt mit der Deutschen Bahn
- Barcelona (1) (05.09.): Immer geradeaus
- Barcelona (2) (06.09.): Saubere Brillen und wütende Kartoffeln
- Ankunft (07.09.): Blick aufs Meer (und ein bisschen Parkplatz)
- Tag 01 (08.09.): Lauf, Christian, lauf
- Tag 02 (09.09.): Do you need a good one or a normal one?
- Tag 03 (10.09.): Dem Meer ist alles egal
- Tag 04 (11.09.): Nationalfeiertagsfeierlichkeiten Fehlanzeige
- Tag 05 (12.09.): Vom Winde gemobbt
- Tag 06 (13.09.): Mein Name ist nicht Bond
- Tag 07 (14.09.): Man spricht kein Deutsch
- Tag 08 (15.09.): Das ganze Leben ist ein Fake. (Zumindest auf der Strandpromenade Richtung Salou)
- Tag 09 (16.09.): Ein Hollywood-Blockbuster für einen Käsekuchen
- Tag 10 (17.09.): Der mittelalte weiße Mann und das Meer
- Tag 11 (18.09.): Kein Regen im Nichts
- Tag 12 (19.09.): Helga, die Schreckliche
- Tag 13 (20.09.): Ein nasser Abschied
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)