Kaufe auf dem Heimweg in einem Souvenirladen Postkarten. Das muss ja auch langsam mal erledigt werden, das mit dem Postkarten schreiben. (Stichwort: drittletzter Urlaubstag) Damit alle Daheimgebliebenen wissen, dass man eine gute Zeit hat und neidisch auf das gute Wetter und das leckere Essen sind.
In den letzten Urlauben war das Postkartenschreiben ein Desaster. Im vorigen Jahr in Portugal fand ich in dem kleinen Örtchen, in dem wir wohnten, keinen Briefkasten und im Flughafen von Lissabon vergaß ich, die Karten einzuwerfen. In Cassis (2022) kann ich mich nicht erinnern, überhaupt Karten geschrieben zu haben, und auf Sardinien (2021) dachte ich weder am letzten Tag in Santa Teresa noch am Flughafen in Olbia daran, die Karten abzuschicken. (Circa drei Monate später fand ich sie auf meinem Schreibtisch unter einem Stapel von Dokumenten.)
An dem Ständer vor dem Laden suche ich acht Karten aus und gehe damit zur Kasse. Dort steht der Mann, bei dem wir die Taucherbrille gekauft hatten, und begrüßt mich mit einem fröhlichen „How are you, my friend?“ Dann tippt er auf seinem Taschenrechner rum und verlangt für die acht Karten inklusive Porto 23,60 Euro.
Ein ziemlich stolzer Preis, aber ich möchte nicht nachfragen, ob er sich verrechnet hat. Weil er so freundlich gegrüßt hat und mich „my friend“ genannt hat. Und weil ich konfliktscheu bin.
Vielleicht ist das Porto in Spanien einfach unfassbar teuer. An den Karten kann es nicht liegen. Die Motive sind von begrenzter ästhetischer Qualität. Eher so „Fotowettbewerb 6. Klasse“. Die ehemals glänzende Oberfläche ist stumpf und die Farben leicht vergilbt. Wahrscheinlich verkauft der Mann nicht allzu viele Ansichtskarten.
Dass er meine Briefmarken von einem unbenutzten 50er-Bogen abtrennt, spricht ebenfalls für diese These. Ich habe keine Ahnung, was die Marken kosten, auf ihnen steht keine Währung, sondern lediglich Tarifa B. (B für „besonders teuer“?) Das Motiv ist eine Geschäftsfrau mit Aktentasche, die durch eine Art Flughafenwartebereich läuft und dabei mit ihrem Handy videotelefoniert. Durch die bodentiefen Fenster sind draußen Baukräne zu sehen. Keine Ahnung, was mir das sagen soll. Vermutlich weiß das nicht einmal der Briefmarkenmotiv-Designer selbst.
Zum Abschied weist mich mein Souvenir-Laden-Freund auf den Briefkasten vor seinem Geschäft hin. Er verkauft also nicht nur Postkarten und Briefmarken, sondern bietet Beratungsdienstleistungen rund ums Versand- und Logistikgeschäft an. Da sind dann 23,60 Euro für acht Postkarten doch gerechtfertigt.
Der Kauf des Fake-Real-Trikots hat Begehrlichkeiten beim Nachwuchs plus Anhang geweckt und wir wurden beauftragt, weitere Shirts zu besorgen. Wir gehen zum gleichen Händler wie letzten Sonntag, er ist der Fake-Trikot-Verkäufer unseres Vertrauens.
Für sozial herausgeforderte Menschen ist es hilfreich, auf Bewährtes zurückzugreifen. Das schafft Verlässlichkeit, Vertrauen und Sicherheit. Selbst wenn das Bewährte darin besteht, den gleichen Fake-Shirt-Verkäufer wie beim letzten Mal aufzusuchen.
Wir kaufen diverse Heim- und Auswärtstrikots der deutschen Nationalmannschaft sowie eins des spanischen Teams. Aufgrund der Menge bekommen wir Rabatt. 20 Euro pro Shirt statt 25. Ich bin versucht, dem Verkäufer 20 Euro zuzustecken, aber wahrscheinlich müsste er die sowieso an jemanden anderen abdrücken.
Ich gehe mit dem Gefühl weg, der raffgierigen, unverschämten Fußballtrikot-Industrie eins ausgewischt zu haben, aber gleichzeitig ein anderes Schweinesystem gestützt zu haben, das unter anderem die prekäre Situation von Geflüchteten ausnutzt.
Das Wetter verhält sich weiter merkwürdig. Auf der Höhe von Cambrils sieht der Himmel aus, als ginge gleich die Welt unter und als kämen jeden Moment die apokalyptischen Reiter durch die Wolken geritten. Über Salou dagegen, nur fünf Kilometer entfernt, herrlicher Sonnenschein. Bei uns, ungefähr in der Mitte der beiden Orte, ist das zu beobachten, was in der Wettervorhersage als ein Mix von Sonne und Wolken bezeichnet wird.
Zum Abendessen zieht es sich zu und der Wind wird stärker. Daher eingeschränkte Foto- und Filmaktivitäten am Strand. Lediglich ein Paar versucht sich an ein paar Schnappschüssen. Das funktioniert nur leidlich. Der Mann fotografiert seine Frau in den Wellen, sie wird von diesen fast umgeworfen. Ob das eine gute Bewertung in der Influencer Academy gibt? Ich glaube nicht.
Bilanz des Tages
- 17,42 Kilometer gelaufen
- 25.007 Schritte
- 2 Pfeile auf Waden gesehen
- 1 Gruß von einem oberkörperfreien Laufhünen
- 43,50 Euro im Supermarkt ausgegeben
- 8 Postkarten gekauft
- 8 Postkarten geschrieben
- 4 Fake-Trikots gekauft
- 1 Kniffel (meine Frau)
Alle Beiträge des ¡Hola España!-Blogs finden Sie hier:
- Vorbereitung (03.09.): Zurück in die Vergangenheit
- Anreise (04.09.): Auf Kaffeefahrt mit der Deutschen Bahn
- Barcelona (1) (05.09.): Immer geradeaus
- Barcelona (2) (06.09.): Saubere Brillen und wütende Kartoffeln
- Ankunft (07.09.): Blick aufs Meer (und ein bisschen Parkplatz)
- Tag 01 (08.09.): Lauf, Christian, lauf
- Tag 02 (09.09.): Do you need a good one or a normal one?
- Tag 03 (10.09.): Dem Meer ist alles egal
- Tag 04 (11.09.): Nationalfeiertagsfeierlichkeiten Fehlanzeige
- Tag 05 (12.09.): Vom Winde gemobbt
- Tag 06 (13.09.): Mein Name ist nicht Bond
- Tag 07 (14.09.): Man spricht kein Deutsch
- Tag 08 (15.09.): Das ganze Leben ist ein Fake. (Zumindest auf der Strandpromenade Richtung Salou)
- Tag 09 (16.09.): Ein Hollywood-Blockbuster für einen Käsekuchen
- Tag 10 (17.09.): Der mittelalte weiße Mann und das Meer
- Tag 11 (18.09.): Kein Regen im Nichts
- Tag 12 (19.09.): Helga, die Schreckliche
- Tag 13 (20.09.): Ein nasser Abschied
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)