Die Heuschrecke ist immer noch da. Wir müssen sie wohl als neue Mitbewohnerin akzeptieren. Aber nur auf dem Balkon!
Möglicherweise sieht sie uns ebenfalls als Mitbewohner*innen an, die sie allerdings allenfalls duldet. Wahrscheinlich mehr als ehemalige Mitbewohner*innen in spe. Oder als Abendessen. Das eine schließt das andere ja nicht aus. Im Gegenteil.
Vielleicht sollte ich ihr einen Namen geben. Wenn dich jemand mit Namen anspricht, hast du mehr Skrupel, ihn aufzufressen. Ich nenne sie Helga.
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Nach dem Frühstück passen wir ein Nicht-Regen-Fenster ab und gehen zum Supermarkt. Proviant für die Heimfahrt besorgen. Auch so ein unschönes Wort: Heimfahrt. Wenn du über Heimfahrt nachdenkst, hast du keine Möglichkeit mehr, dir schönzureden, dass der Urlaub doch noch nicht bald zu Ende ist.
Wir kaufen Brot, Belag, Äpfel und – ganz wichtig – Knabberzeug und Kekse. Außerdem ein Bounty. Das essen wir schon am Nachmittag. Quasi als Trauerarbeit ob des nahenden Urlaubsendes.
Als wir vom Supermarkt zurückkommen, steht die Haustür offen. Jemand hat einen Keil untergeschoben, damit sie nicht zufällt. Das könnte mir egal sein. Aber an der Wand hängt ein Zettel mit dem Hinweis, die die Tür solle zu jeder Zeit zu sein. Auf Spanisch, Englisch und Deutsch. Wer auch immer den Zettel aufgehängt hat, scheint es sehr ernst mit der geschlossenen Tür zu meinen.
Könnte ich trotzdem ignorieren. Schließlich habe ich mich nicht über die Vorschriften hinweggesetzt und die Tür aufgelassen. Mein Problem ist jedoch, dass ich mich sehr häufig für Sachen verantwortlich fühle, für die ich gar nicht verantwortlich bin. Zum Beispiel für offene Türen, die nicht offen sein sollen.
Überlege, die Tür zuzumachen. Damit alles seine Ordnung hat. (Der deutsche Untertan ist stark in mir.) Allerdings trägt vielleicht die Person, die den Keil untergeschoben hat, gerade schwere Gegenstände ins Haus – Einkäufe, Getränkekisten, Waschmaschinen. Somit würde sie das Schließen der Tür verärgern. Das möchte ich unter keinen Umständen. (Der People Pleaser ist ebenfalls stark in mir.)
Beschließe schließlich, die Tür offen zu lassen. Weil mich das ja wirklich nichts angeht. Nun werde ich den Rest des Tages darüber nachdenken, ob ich sie nicht doch besser zugemacht hätte.
Nachmittags kleiner Spaziergang die Strandpromenade entlang. Wie in einer Rentnersimulation. „Oldie but Goldie 2024“ (Jetzt auch mit mobilem Blasenkatheter.) Verzichte trotzdem darauf, mit auf dem Rücken verschränkten Armen zu flanieren. Eigentlich schade, das wäre bestimmt bequem.
Überholen eine Frau mit Kind auf dem Arm. Die Kleine ist quengelig. Unzufrieden mit sich, der Welt und der Gesamtsituation. Es ist ja auch schon 18 Uhr, da kann man schon mal quengelig und unzufrieden sein.
Die Mama sagt sehr mitfühlend: „Life is hard, sweety.“ Ich weiß nicht, ob sie mit ihrer Tochter spricht oder mit sich selbst. Vielleicht sollte ich ihr die Bimmelbahn zwischen Salou und Cambrils empfehlen.
Abendessen auf dem Balkon. Heute haben wir weniger Augen für die Selfie-/Foto-Aktivitäten am Strand, sondern achten mehr auf die Balkontür. Dort sitzt immer noch Helga. Das ist unangenehm, dafür hockt sie wenigstens nicht bei uns am Tisch. Sollte sie fragen, würden wir ihr das natürlich erlauben. Und dann drinnen essen.
Bilanz des Tages
- 1 Riesen-Heuschrecke auf dem Balkon
- 10,24 Kilometer gelaufen
- 17.178 Schritte gegangen
- 1x pitschnass geworden
- 34,57 Euro im Supermarkt ausgegeben
- 1 Bounty gegessen
- 1 Rentner-Spaziergang
- 2 Kniffel (ehelich geteilt)
Alle Beiträge des ¡Hola España!-Blogs finden Sie hier:
- Vorbereitung (03.09.): Zurück in die Vergangenheit
- Anreise (04.09.): Auf Kaffeefahrt mit der Deutschen Bahn
- Barcelona (1) (05.09.): Immer geradeaus
- Barcelona (2) (06.09.): Saubere Brillen und wütende Kartoffeln
- Ankunft (07.09.): Blick aufs Meer (und ein bisschen Parkplatz)
- Tag 01 (08.09.): Lauf, Christian, lauf
- Tag 02 (09.09.): Do you need a good one or a normal one?
- Tag 03 (10.09.): Dem Meer ist alles egal
- Tag 04 (11.09.): Nationalfeiertagsfeierlichkeiten Fehlanzeige
- Tag 05 (12.09.): Vom Winde gemobbt
- Tag 06 (13.09.): Mein Name ist nicht Bond
- Tag 07 (14.09.): Man spricht kein Deutsch
- Tag 08 (15.09.): Das ganze Leben ist ein Fake. (Zumindest auf der Strandpromenade Richtung Salou)
- Tag 09 (16.09.): Ein Hollywood-Blockbuster für einen Käsekuchen
- Tag 10 (17.09.): Der mittelalte weiße Mann und das Meer
- Tag 11 (18.09.): Kein Regen im Nichts
- Tag 12 (19.09.): Helga, die Schreckliche
- Tag 13 (20.09.): Ein nasser Abschied
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)