Zum Abschluss des Urlaubs wollen wir nochmal Essen gehen. Im Sinne des „Never change a winning team“ hat meine Frau für 19 Uhr einen Tisch im El Pósit reserviert. Wahrscheinlich vollkommen unnötig, weil Spanierinnen zu dieser frühen Uhrzeit niemals zu Abend essen würden. Aber es ist Freitagabend und man weiß ja nie. (Better safe than sorry. And hungry.)
Nutzen gegen 17 Uhr ein Nicht-Regen-Fenster und spazieren los. Wir erreichen Cambrils viel zu zeitig, drücken uns in ein paar Läden rum, schlendern durchs Städtchen, suchen Schutz unter verschiedenen Markisen vor dem wiedereinsetzenden Regen, bis es endlich 18.40 Uhr ist und nicht mehr ganz so peinlich viel zu früh ist, um in der Tapas-Bar aufzuschlagen.
Der Laden ist spärlich besucht und wir können uns einen Tisch aussuchen. Wir nehmen den gleichen wie beim letzten Mal. Ein bisschen aus Zufall, weil es der einzige 2er-Platz ist, der nicht an andere besetzte Tische grenzt. Schließlich wollen wir nicht die Creeps sein, die sich in einem fast leeren Restaurant direkt neben andere Gäste setzen. Ein bisschen wählen wir den Tisch aber auch mit Absicht aus, denn sozial herausgeforderte Menschen helfen Routinen, Bekanntes und Bewährtes. (Stichwort Stamm-Fake-Trikot-Verkäufer)
Auch diesmal bestellen wir eine Karaffe Sangria. Ursprünglich wollte ich nur ein Glas nehmen und dann vielleicht ein zweites. Die Preispolitik des Lokals zwingt uns aber zu dem Liter, denn der kostet genauso viel wie drei Gläser.
Bevor die Bedienung kommt, deeple ich mir den Satz „Einen Krug Sangria, bitte.“ zusammen. „Una jara de sangria, por favor“, sage ich zu der Frau. Die schaut mich völlig verständnislos an. Dabei hatte ich das doch vorher mehrfach fließend, fehler- und akzentfrei aufgesagt. In meinem Kopf.
Anscheinend habe ich keinen Krug Sangria geordert, sondern irgendetwas anderes gesagt. Im besten Fall: „Sie tragen eine schöne Bluse“, im schlechteren „Sie haben einen schönen Busen.“ und im allerschlechtesten „Sie haben keinen schönen Busen.“
Das Gesicht der Kellnerin bleibt ein einziges Fragezeichen. Daher sage ich „Sangria“ und halte meine flachen Hände in einem Abstand von circa 30 Zentimeter übereinander. Die international anerkannte pantomimische Geste für Krug. „Ah“, sagt die Frau nun. „Un litre.” Geht doch.
Dafür, dass wir normalerweise nur wenig Alkohol konsumieren, meist nur in Gesellschaft, haben wir im Urlaub ziemlich viele Krüge Sangria getrunken. Etwas bedenklich, aber nun mal auch sehr lecker.
Zum Essen nehmen wir wieder die Kartoffeln und das Käsebrett. Um dem Eindruck entgegenzuwirken, wir müssten zwangsneurotisch immer alles auf die exakt gleiche Weise tun, wählen wir diesmal statt der Scampi und des Hühnchens die hausgemachten Nachos mit Guacamole (knusprig), frittierten Kabeljau mit holzgeröstetem Pfeffer und Muskatwein (außen knusprig, innen zart) sowie Schweinegulasch nach Art des Hauses mit einer Sauce aus getrockneter roter Paprika, Knoblauch und spanischem Rotwein (zart).
Beim Nachtisch gilt wieder, das winning team nicht zu changen, da wollen wir keine Kompromisse eingehen. Nicht aufgrund irgendwelcher Zwangsneurosen, sondern weil die Brownies und der Käsekuchen so unfassbar lecker waren.
Der Kellner zieht zwar kritisch die Augenbrauen hoch, als wir zwei Nachtische bestellen, aber das ist uns egal. Hält er uns halt für verfressen. Das ist der Vorteil, wenn du einen halben Liter Sangria intus hast, dann ist dir selbst als people pleaser vollkommen wumpe, was andere von dir denken. Vor allem, wenn es um Nachtisch geht.
Insbesondere der Käsekuchen ist wieder ein Gedicht. Eine Ode an Fett, Zucker und kurzkettige Kohlenhydrate. Wer auch immer ihn gebacken hat, ich möchte diese Person heiraten. (Falls meine Frau etwas dagegen hat, wäre ich offen für eine polyamore Beziehung.) Noch lieber würde ich den Kuchen selbst heiraten. Und da lasse ich mich von meiner Frau auch nicht zu einer Dreierbeziehung überreden, den will ich ganz für mich allein.
Der Tag endet für mich, wie er begonnen hat: nass. Daran bin ich selbst schuld. Zu Beginn unseres Heimwegs sage ich: „Hoffen wir, dass es bei den paar Tropfen bleibt, und keinen richtigen Schutt gibt.“ Das löst natürlich einen kosmischen Schmetterlingseffekt aus, der dafür sorgt, dass es nicht bei den paar Tropfen bleibt, sondern einen richtigen Schutt gibt. Dabei bleibt kein Auge und vor allem kein Kleidungsstück trocken.
„Da fällt einem der Abschied etwas leichter”, versucht meine Frau das Positive an unserer Situation zu sehen.
Bilanz des Tages
- 35,02 Kilometer gelaufen
- 49.363 Schritte gegangen
- 2x pitschnass geworden
- 2 Kniffel (wieder ehelich geteilt)
- 38 Punkte Vorsprung beim Kniffel-Urlaubs-Duell
- 1 Liter Sangria getrunken
- 1 göttlichen Käsekuchen gegessen
Muchas gracias, Vilafortuny, Cambrils und Salou, ihr ward gut zu uns. Und heute ward ihr ein wenig nass zu uns. Adios!
El final.
Alle Beiträge des ¡Hola España!-Blogs finden Sie hier:
- Vorbereitung (03.09.): Zurück in die Vergangenheit
- Anreise (04.09.): Auf Kaffeefahrt mit der Deutschen Bahn
- Barcelona (1) (05.09.): Immer geradeaus
- Barcelona (2) (06.09.): Saubere Brillen und wütende Kartoffeln
- Ankunft (07.09.): Blick aufs Meer (und ein bisschen Parkplatz)
- Tag 01 (08.09.): Lauf, Christian, lauf
- Tag 02 (09.09.): Do you need a good one or a normal one?
- Tag 03 (10.09.): Dem Meer ist alles egal
- Tag 04 (11.09.): Nationalfeiertagsfeierlichkeiten Fehlanzeige
- Tag 05 (12.09.): Vom Winde gemobbt
- Tag 06 (13.09.): Mein Name ist nicht Bond
- Tag 07 (14.09.): Man spricht kein Deutsch
- Tag 08 (15.09.): Das ganze Leben ist ein Fake. (Zumindest auf der Strandpromenade Richtung Salou)
- Tag 09 (16.09.): Ein Hollywood-Blockbuster für einen Käsekuchen
- Tag 10 (17.09.): Der mittelalte weiße Mann und das Meer
- Tag 11 (18.09.): Kein Regen im Nichts
- Tag 12 (19.09.): Helga, die Schreckliche
- Tag 13 (20.09.): Ein nasser Abschied
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)