Irisches Tagebuch, 02. Juni | Anreise – Da wackelt nichts (Teil 2)

Teil 1


17 Uhr. Boarding. Warum bezahlen Menschen extra fürs Priority Boarding? Die müssen doch trotzdem warten. Statt am Gate im Flugzeug. Die fliegen ja nicht vor den anderen ab. (Falls doch, werde ich gleich Augen machen.) Vielleicht schmeichelt es ihrem fragilen Ego, als erstes an Bord gehen zu dürfen.

Eine Frau in gelber Warnweste erscheint. Sie trägt eine randlose, rötlich getönte Sonnenbrille, ihre braunen Locken sind mit viel Haarspray in Form gebracht und um ihren Hals hängt goldenes Geschmeide. Im Gesicht hat sie nicht gerade an Make-up, Lippenstift und Lidschatten gespart. Sie hat das aber durchaus gekonnt auftragen. Nicht wie ein vierjähriges Kind, das mit verbundenen Augen seine Schminkpuppe mit Paintballkugeln beschossen hat. Die Frau öffnet die Tür zum Flugfeld und dirigiert die Passagier*innen energisch aber fröhlich in Richtung Flugzeug.

Dort steht eine weitere Frau. Ebenfalls in der obligatorischen Warnweste und auch mit stylisher Sonnenbrille, toupiertem Haar und aufwändiger Gesichtsbemalung. Hinter ihrem Ohr hat sie eine geschmackvolle kleine Blume tätowiert.

Die beiden Frauen sehen weniger nach Flughafen-Bodenpersonal aus, sondern mehr nach Hollywood-Diven. Vielleicht sind sie tatsächlich Schauspielerinnen und üben für eine Bodenpersonal-Rolle. Hoffentlich trifft das nicht auch auf den Piloten zu.

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Am Fenster in meiner Reihe sitzt eine Frau, die sich sofort eine Schlafbrille aufsetzt. Der Mann auf dem Mittelplatz neben mir steht noch dreimal auf, um etwas aus seiner Tasche im Gepäckfach zu holen.

Meine Frau ist links und rechts von zwei hünenhaften Männern eingerahmt. Könnten professionelle Rugbyspieler sein. Oder Schwergewichts-Ringer. Oder beides. Die jammern bestimmt nicht, wenn ihnen jemand die Hand zusammendrückt.

Ich bin müde und würde gerne schlafen. Bis zum Sicherheits-Ballett der Flugbegleiterinnen zwinge ich mich aber, wachzubleiben. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass sich deine Überlebenschancen bei einem Flugzeugabsturz deutlich erhöhen, wenn du bei der Security-Vorführung zuhörst. Da will ich kein Risiko eingehen.

Vielleicht erzählen die Damen ja etwas Neues, was ich noch nicht weiß. Tun sie aber nicht. Die Notausgänge befinden sich an den gleichen Stellen wie immer, die Anschnallgurte öffnen und schließen sich wie eh und je und bei Druckabfall sollst du immer noch zuerst dir eine Maske nehmen und erst dann anderen helfen.

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Nun bin ich hellwach und kann den Flug nicht verschlafen, wie es mein Plan war. Ich könnte aus dem Fenster schauen. Geht aber nicht, denn die Schlafbrillen-Frau verdeckt den Blick nach draußen.

Ist aber auch besser so. Wenn ich aus Flugzeugfenstern schaue, kann ich nicht mehr so gut verdrängen, dass wir uns in einem tonnenschweren Gerät 10.000 Meter in der Luft befinden und dass das zwar physikalisch erklärbar ist, ich aber sehr schlecht in Physik war und es deswegen nicht wirklich verstehe und daher bei jedem kleinen Ruckler denke, dass dem Flugzeug vielleicht gerade einfällt, dass es doch viel zu schwer ist, um sich in der Luft zu halten, und das ist kein schöner Gedanke.

Allerdings ruckelt das Flugzeug nicht. Kein bisschen. Wirklich überhaupt nicht. Es ist der ruhigste Flug meines Lebens. (Ein Satz, den ich selbstverständlich erst nach der Landung und nicht während des Flugs niedergeschrieben habe. Du musst nicht hardcore abergläubisch sein, um zu wissen, dass man so etwas nicht macht.)

Unterdessen verkaufen die Stewardessen Rubbellose. Hauptgewinn eine Million Euro. Ich kaufe kein Los. Ich finde es befremdlich, sich im Glücksspiel zu versuchen, während du 30.000 Fuß über den Wolken fliegst. Außerdem passt es Ying und Yang vielleicht nicht, wenn hier jemand die Million gewinnt, und zur Wiederherstellung des kosmischen Gleichgewichts lassen sie die Maschine abstürzen. Ebenfalls kein schöner Gedanke. (Auch das habe ich natürlich erst niedergeschrieben, nachdem wir sicher gelandet sind. Ich hege schließlich keinen Todeswunsch.)

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Im Flughafen in Dublin geht meine Frau erstmal auf Toilette, ich warte bei der Gepäckausgabe. Wobei ich überhaupt nicht warten muss. Als ich zum Beförderungsband komme, fahren unsere Koffer schon fröhlich im Kreis umher. Stattdessen warte ich auf meine Frau.

Der Flug hat uns hungrig gemacht. Eigentlich hat das gar nichts mit dem Flug zu tun, sondern wir haben generell auf Reisen Hunger. Und sonst meistens auch.

Meine Frau besorgt in einem Flughafen-Shop Sandwiches, Getränke und Schokoriegel. Für einen Preis gegen den unser Proviant am BER ein richtiges Schnäppchen war. (Die Urlaubskasse hat jedweden Lebenswillen verloren.)

Da in Irland der Euro gilt, kannst du die Summe leider nicht durch zehn oder so teilen, sondern der Betrag ist wirklich so hoch wie er ist. Wenn du dir aber vorstellst, ein Kind hätte dir in seinem Kaufmannsladen einen Phantasie-Betrag abgeknöpft, geht es.

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20.05 Uhr. Weiter mit dem Bus nach Carlow. Der Busfahrer macht am Anfang eine Durchsage. Besonders viel verstehe ich nicht. Wegen des schlechten Mikros. Und weil er wie der Butler aus Dinner for One klingt. Nach dem dritten Gang. Das ist nicht so richtig beruhigend, aber wenigstens stolpert er über keine Tigerköpfe und das werte ich als gutes Omen. (Du musst nehmen, was du kriegst.)

Wir fahren durch Dublin. Dort gibt es sehr viele Brücken. Futuristische, antike, moderne, metallene, rostige, grüne, weiße, rote. Mir gefällt das. Anscheinend habe ich mich während des Fluges in einen Rentner verwandelt, der sich am Anblick von Brücken erfreut. Toll!

In der ersten Reihe hockt ein Typ mit riesigen Kopfhörern. Seine Musik ist so laut, dass der halbe Bus mithören muss. Ich äußere mich kritisch dazu und mein innerer, Brücken liebender Rentner nickt zustimmend. Meine Frau erklärt, die Musik käme nicht aus den Kopfhörern, das sei das Radio des Busfahrers.

Tatsächlich. Der Fahrer scheint ein großer Fan des Senders zu sein. Bei jedem Lied dreht er die Lautstärke etwas höher. Von Tina Turner über Bee-Gees bis zu A-ha. Bei Michael Jackson geht er all in und holt aus den Boxen raus, was rauszuholen ist.

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22.15 Uhr. Unser Musik-Express erreicht Carlow. Die Tochter nimmt uns in Empfang und wir gehen zum Hotel. Laut Website liegt das Dinn Rí zentral in der Innenstadt. Eine etwas unpräzise Ortsangabe, denn in Carlow ist quasi alles zentral und befindet sich mehr oder weniger in der Innenstadt.

Im Hotel liegt im Flur und im Zimmer ein unfassbar dicker Teppich. Fühlt sich an, als würdest du knöcheltief durch eine Marshmallow-Wiese waten. Ich verdränge den Gedanken, dass Milben den Teppich bestimmt super finden und darin eine Megacity mit Millionen von Einwohner*innen gebaut haben.

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Zum Abschluss des Tages Besuch in einer Bar. Die liegt praktischerweise direkt neben dem Hotel. Sie gehört dem gleichen Besitzer. Genauso wie das Frühstücks-Café gegenüber und die beiden einzigen Nachtclubs in Carlow. Gegen diesen Menschen sind Jeff Bezos und Elon Musk wahrscheinlich Sozialhilfeempfänger.

Erkläre dem Mann hinter der Theke, ich hätte gerne ein irisches Bier, aber auf keinen Fall Guinness. Er zählt eine Reihe von Bieren auf, die mir alle nichts sagen, und sagt etwas zu ihrem Geschmack, was ich nicht verstehe, weil die Musik so laut ist.

Als ich das Wort Lager höre, sage ich einfach „Excellent!“ Zur Sicherheit recke ich einen Daumen hoch. Falls er mich wegen der lauten Musik auch nicht versteht, und damit er nicht denkt, ich hätte „asshole“ gesagt.

Ich bestelle noch Cider (für die Tochter) und Guiness (für meine Frau). Der Barkeeper ist irritiert. Habe ich eben nicht explizit gesagt, dass ich quasi alles, aber unter keinen Umständen Guiness trinken möchte? Damit er nicht denkt, ich hätte mich über ihn lustig gemacht, recke ich wieder den Daumen hoch. Um jeden Zweifel auszuschließen, gebe ich ein viel zu großzügiges Trinkgeld. Jetzt denkt er erst recht, ich hätte ihn verarscht.

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Zurück im Hotel. Der junge Mann an der Rezeption schaut kurz von seinem Handy auf und begrüßt uns beiläufig mit „How is it going?“ Mich verwirrt das, denn ich weiß nicht, wie ich darauf reagieren soll. Genauso wie auf „How are you?“

Was antwortet man da? Vielleicht mit der deutschen Variante? „Könnte schlechter sein.“ Oder ehrlich? „Die letzte Woche vor dem Urlaub war sehr stressig, aber jetzt freuen wir uns auf die Dingle-Wanderung.“ Oder etwas zu meinem körperlichen Befinden? „Beim Joggen zieht es manchmal im Knie. Das läuft sich aber nach ein paar Kilometern meistens weg.“

Dem Mann ist das wahrscheinlich alles egal. Ich murmle: „All right.“ Das interessiert ihn auch nicht, denn er schaut schon wieder in sein Handy.


Gewinnspiel

Die For Me-Karten wurden verlost und die Gewinnerinnen benachrichtigt. Herzlichen Dank an alle, die so fleißig kommentiert haben, und den Gewinnerinnen viel Spaß beim Festival.


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Ab heute überall erhältlich, wo es Bücher gibt.

6 Kommentare zu “Irisches Tagebuch, 02. Juni | Anreise – Da wackelt nichts (Teil 2)

  1. Ja ja, die Musik der Mitreisenden kann ganz schön anstrengend sein… Vor allem, wenn sie dann doch nicht von denen kommt 😅

    • Mit dem Essen im Flughafen ergeht es mir genauso. Jedes Mal nehme ich mir vor das ich etwas von daheim mitnehme und dann vergesse ich es wieder

  2. Das nächste Mal bei Flugangst: Tabletten dagegen und Rotwein – damit habe ich eine flugängstliche Freundin bis nach Mexiko begleitet;)

  3. Ist „auf Toilette gehen“ eigentlich korrektes Deutsch? Oder müsste da eigentlich noch ein Artikel hinzu? Inzwischen ist das im Sprechen total normal, aber geschrieben sieht es irgendwie seltsam aus 🙈
    Ansonsten: Wie stets ein großes Danke dafür, mir auf diese Weise den Morgenkaffee zu versüßen, das ist definitiv gesünder als Zucker und unterhaltsamer!

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