Ich schaue durchs Fenster auf die vorbeiziehende Landschaft. Die ist grün und ein wenig hügelig, aber noch nicht Kerrygold-Werbung spektakulär. Was unter anderem daran liegt, dass wir nicht in Kerry sind.
Meine Frau meint, es sehe hier fast wie in Nordhessen aus, ich erkenne eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Westerwald. Hoffentlich sind diese Vergleiche nicht ehrabschneidend für die irische Landschaft.
Bisher habe ich schon sehr viele Kühe gesehen, aber noch nicht so viele Schafe. Auf einer Weide haben gerade zwei Kühe Sex. Irgendwoher müssen die ja alle kommen.
###
Das Display oberhalb der Waggontür zeigt die Informationen zu den kommenden Stationen immer erst auf Irisch und dann auf Englisch an. Irisch sieht ein bisschen aus, als hätte jemand wahllos Vokale und Konsonanten zusammengewürfelt und zur Verzierung noch kleine Haken und Striche über oder unter die Vokale gemalt.
In Thurles steigen zwei junge Männer ein. Sie tragen Anzug mit Weste und Krawatte. Ich tippe auf Investmentbanker. Oder Mormonen auf Missionierungs-Tour.
###
Am Bahnhof in Tralee holt uns Sorcha ab, die Betreiberin des B+B, in dem wir heute Nacht untergebracht sind. Sie ist schätzungsweise Mitte 50 und hat mittellanges, kastanienbraunes Haar.
Meine Frau und ich sind etwas nervös. Wir sind beide socially etwas challenged und fürchten uns ein wenig vor Small Talk. Das ist bei Sorcha glücklicherweise kein Problem. Sie ist sehr herzlich und vor allem sehr gesprächig.
Während der gar nicht so langen Autofahrt erfahren wir, dass ihre jüngste Tochter in Galway Irish, Geography und Psychology studiert, Psychology aber aufgeben wird, später mal Secondary oder Primary Teacher werden will, jetzt aber erstmal das Uni-Leben genießt. Ihr Sohn ist 21, hat gerade seine Ausbildung zum Immobilienmakler abgeschlossen und würde jetzt noch ein Studium draufsatteln. Er möge Football, Golf und Gardening und würde noch ein weiteres Jahr bei ihnen wohnen, das sei aber unproblematisch, denn er sei ein sehr unauffälliger Hausgast. Im Gegensatz zu ihren Töchtern, wenn die zuhause wären, bräche immer das Chaos aus, aber es sei trotzdem schön, wenn sie zu Besuch kämen. Ihr Mann Colm wollte heute eigentlich zum Gaelic Football gehen, hätte das Spiel aber aufgrund eines Missverständnisses verpasst, da er vergessen hatte, seinen Freund anzurufen, um Bescheid zu geben, dass er mitkommen würde, was nicht weiter schlimm gewesen wäre, denn so hätten sie sich das Spiel einfach im Fernsehen angeschaut. Das Wetter sei zurzeit sehr nice und das solle auch die nächsten Tage so bleiben und dann stehen wir vor dem B+B und Sorcha zeigt uns unser Zimmer.
###
Zum Abendessen laufen wir nach Tralee. Ausgesprochen wird das wie Trolie. Oder Trulie. Oder so ähnlich. Genau weiß ich es nicht. Egal wie ich es betone, die Tochter sagt immer, es sei falsch. Wenn sie es dann ausspricht, hört es sich für mich genauso an, wie ich es gesagt habe. Daher rede ich nur noch von „der Stadt” oder „dem Ort“.
Tralee ist die Hauptstadt des County Kerrys und liegt im Südwesten Irlands am Anfang der Halbinsel Dingle. (Oder am Ende, wenn du aus der anderen Richtung kommst.) In Tralee leben ungefähr 23.000 Menschen, einer von ihnen war mal Rea Garvey, seines Zeichens ehemaliger Frontmann der Band Reamonn. Beziehungsweise Frontmann der ehemaligen Band Reamonn.
Auf mich wirkt Tralee wie ein leicht heruntergekommener Ferienort, der schon bessere Tage erlebt hat, aber dennoch über einen gewissen Charme verfügt. Die Pub-Dichte in der Stadt ist bemerkenswert hoch. Der nächste Pub ist immer nur zwei Minuten entfernt und auch nur wenn du sehr langsam gehst. (Oder stark schwankst.)
Wie in Carlow gibt es auch in Tralee ziemlich viele Friseure und Barber-Shops. Vielleicht haben Iren einen überdurchschnittlich starken Haar- und Bartwuchs.
Fürs Abendessen fällt unsere Wahl auf das Kirby‘s Brogue Inn. Zum einen stand der Pub auf der Liste unseres Wanderreisenanbieters, zum anderen laufen wir zufällig daran vorbei.
Wir studieren die Karte. Die Preise sind ziemlich happig. Ich wünschte mir, es gäbe eine Damenkarte, in der nicht steht, was die Gerichte kosten. Noch mehr wünschte ich mir, dass zum Schluss ein Herr die Rechnung für mich begleicht.
An einer Wand hängt ein riesiger Fernseher, auf dem Gaelic Football gezeigt wird. Eine Mischung aus Fußball, Handball und Rugby. Auf dem Spielfeld passiert sehr viel, für den Laien erschließt sich aber nur schwer warum.
Die irischen Teams gehören beim Gaelic Football zur absoluten Weltklasse. Außerhalb Irlands gibt es allerdings auch kaum andere Teams.
Das Essen ist reichlich und lecker. Für die Tochter gibt es Gemüselasagne und als Beilage – damit die Kohlenhydrate nicht zu kurz kommen – Knoblauchbrot und Chips (aka Pommes), die Frau bekommt Fish & Chips mit Salat und – weil der Koch seine Kreativität ausgelebt hat – Kapernmayonnaise, und ich esse einen Burger mit Bacon, glasierten Zwiebeln, Gurken, Tomaten, Käse und aus irgendeinem Grund einem Spiegelei. Dazu werden Chips sowie ein Alibi-Salätchen gereicht.
Wir sollten genügend Kalorien für unseren morgigen ersten Wandertag zu uns genommen haben. Mit den Frühstückskalorien wahrscheinlich sogar für die ganze Woche.
Gewinnspiel
Die For Me-Karten wurden verlost und die Gewinnerinnen benachrichtigt. Herzlichen Dank an alle, die so fleißig kommentiert haben, und den Gewinnerinnen viel Spaß beim Festival.
Alle Beiträge der Irischen Tagebücher finden Sie hier:
- Vorbereitung: Wie alles begann
- Anreise (02. Juni): Da wackelt nichts
- Zugfahrt (03. Juni): Mit der Ir’schen Eisenbahne
- Etappe 1 (04. Juni): Von Camp nach Annascaul
- Etappe 2 (05. Juni): Von Annascaul nach Dingle
- Etappe 3 (06. Juni): Von Dingle nach Dunquin
- Etappe 4 (07. Juni): Von Dunquin nach Cuas
- Bus- und Zugfahrt (08. Juni): Von Dingle nach Dublin
- Dublin (09. Juni): Wo sind all die Tier hin?
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Ich bin gespannt, was ihr noch essen werdet – hast du schon mal über kulinarische Reiseführer als Broterwerb nachgedacht?
Ich kommentiere heute nur um die Festivaltickets zu gewinnen!
Die Pommes sehen ja lecker aus!
Die jüngste Tochter studiert sicher in Galway, oder? Oder in Norway?
Ich dachte immer, sich wie gerädert zu fühlen gehe auf eine Folterpraxis aus dem frühen Mittelalter zurück, die man manchmal auf Gemälden, die Heilige zeigen, dargestellt sieht. Da wurden die zu Folternden auf Rädern gebunden …