Vor einer Schule wartet Dingle Dude. Wir sollen links abbiegen. In der Ferne sehe ich einen Hund. Eine Art Collie-Mischling. Oder so etwas ähnliches. Meine Hundeexpertise ist in den letzten paar Stunden nicht größer geworden. Auf jeden Fall ist der Hund nicht so klein, dass er mir vollkommen egal ist. Dingle Dude hat sich auch schon aus dem Staub gemacht.
Hoffentlich sieht der Hund uns nicht als Eindringlinge an und jagt uns zurück zu den Kühen. Oder zur Töpferei. Oder nach Dunquin.
Wir bleiben ganz eng beieinander. Vielleicht hält er uns dann für ein Rudel und hat Respekt vor uns. Im Gänsemarsch schieben wir uns langsam an ihm vorbei und vermeiden jedweden Blickkontakt. Der Hund beäugt uns misstrauisch, stuft uns als ungefährlich ein und trottet von dannen.
Knapp 300 Meter später kommt ein Haus zu unserer linken. Im Hof liegt ein Hund. Wieder eine Collie-Mischung. Oder was auch immer das eben war. Der Hund hebt kurz den Kopf, mustert uns und döst weiter. Die Hunde hier scheinen uns nicht als Gefahr ernst zu nehmen. Das ist beruhigend, gleichzeitig aber ein wenig kränkend.
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Wir gehen auf einem staubigen Weg durch die Ausläufer eines Wohngebiets. Auf einem Grundstück steht ein älterer Mann und winkt. Ich winke zurück.
Von hinten kommt ein monströs großer Traktor angefahren. Der Fahrer winkt, ich winke zurück. Auf dem Anhänger steht ein Mann. Er winkt auch, ich winke zurück. Die Tochter sieht aus, als würde sie ihn am liebsten vom Hänger schubsen, um an seiner Stelle mitzufahren.
Ein Hund rennt hinter dem Traktor her. Schon wieder diese Collie-Mischung-Art. Entweder ist es hier gesetzlich untersagt, andere Hunderassen zu halten, oder es ist immer der gleiche Hund, der uns gehörig verarscht.
Es ist heiß und kein Lüftchen sorgt für etwas Abkühlung. Meine Frau ist erschöpft, der Tochter schmerzen die Füße. Beide trotten schweigsam und mit überschaubar guter Laune den Weg entlang. Ich fühle mich noch ziemlich gut, erkläre aber, meine Hüfte täte schon auch ein wenig weh, damit ich als vollwertiges Mitglied unserer kleinen Wandergruppe zähle. Frau und Tochter sagen nichts dazu. Meine Lippenbekenntnisse reichen wohl nicht aus, um zum Club der Versehrten zu gehören.
Am letzten Haus des Ortes sitzt eine Familie vor der Tür. Die Eltern winken. Noch schöner wäre es, wenn sie uns eiskalte Cola reichen würden. Ich winke trotzdem zurück. Vielleicht zerre ich mir bei der ganzen Winkerei die Schulter und meine Frau und die Tochter akzeptieren mich dann doch als einen der ihren.
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Die letzten zwei Kilometer brechen an. Mittels einer kleinen Leiter überqueren wir einen Zaun, um auf einen engen, knapp 30 Zentimeter breiten Pfad zu gelangen. Er ist links von dornigen Ranken und rechts von Brennnesseln gesäumt. Ich trage kurze Hosen.
Die Schafe der benachbarten Weide recken ihre Hälse über den Zaun und schauen mir zu, wie ich über den Weg tripple. Bestimmt haben sie Wetten abgeschlossen, ob ich mir zuerst die linke Wade zerkratze und dann das rechte Bein verbrennnessle oder umgekehrt. Überraschend gewinnt der Außenseiter-Tipp „Der Trottel mit dem Zottelbart kommt vollkommen unbeschadet durch.“
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Nach insgesamt 26 Kilometern erreichen wir das Ziel der heutigen Etappe und des gesamten Wandertrips: den Pub An Bóthar in Cuas. Meine Frau und die Tochter sind zu kaputt, als dass wir uns jubelnd in die Arme fallen könnten. Wir nicken uns zu.
Cuas ist so klein, dass der Ort keine offizielle Website und keinen Wikipedia-Eintrag hat. Somit habe ich keine Angaben zur Einwohner*innenzahl, schätze aber, sie liegt im sehr niedrigen dreistelligen, vielleicht sogar im zweistelligen Bereich.
Berühmtester Sohn der Region ist der irische Heilige St. Brendan. Der segelte im sechsten Jahrhundert in der Nähe von Cuas von Brandon Creek aus los, um den Garten Eden zu erreichen. Überraschenderweise kam er dort nie an, dafür aber angeblich in Amerika. Fast 900 Jahre vor Christoph Kolumbus.
Ob das wirklich stimmt, ist nicht belegt. Falls ja, hat der Heilige Brendan in Amerika weit weniger Eindruck hinterlassen als Kolumbus und hat den amerikanischen Ureinwohner*innen weder Pocken, Masern und Influenza noch Ausbeutung und Auslöschung gebracht, was diese sicherlich begrüßt haben.
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An Bóthar ist der einzige Pub im Umkreis von mehreren Kilometern. Gerade als wir uns gesetzt haben, geht die Tür auf. Das amerikanische no-nonsens Paar, das wir im Frühstückraum in Annascaul gesehen hatten, betritt den Pub. Beide humpeln stark. Anscheinend war ihre Ausrüstung doch nicht so professionell. Oder sie sind weniger erfahrende Wander*innen, als ich dachte. Oder beides.
Wir bestellen zwei Beef-Burger (für meine Frau und mich) sowie einen vegetarischen Gemüse-Pattie-Burger (für die Tochter). Auf den Burgern sind autoreifengroße, frittierte Zwiebelringe drapiert, von denen du allein satt werden könntest. Außer du bist fast 26 Kilometer gewandert. Dann willst du mehr als frittierte Autoreifen essen.
Geschmacklich rangieren die Burger und die Chips eher im Mittelfeld. Zum Nachtisch gönnen wir uns warme Brownies mit Vanilleeis. Nach 92 Wander-Kilometern in vier Tage haben wir uns das verdient. Finden zumindest wir. Dingle Dude nickt, wir geben ihm ein Stück Brownie ab.
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An Dooneen – The Hurley Farm, unser B+B für heute Nacht, liegt in Kilcooley, circa fünf Kilometer vom Pub entfernt. Ein Ort, der so klein ist, dass Cuas dagegen als Großstadt-Metropole gilt.
Wir warten vor dem Pub auf usnere Landlady Mary, die uns freundlicherweise abholt. Ich hatte im Vorfeld einen angeregten Mailaustausch mit ihr, um unsere Ankunfts- und Abholzeit abzuklären. Aufgrund ihres Namens und weil sie immer so schnell geantwortet hat, hatte ich das Bild einer 35-bis 40-jährigen Frau vor Augen. Keine Ahnung warum.
Aus dem Auto, das auf den Parkplatz vom An Bóthar einbiegt, steigt eine schätzungsweise Mittsiebzigerin mit schwarz gefärbtem Haar aus. Ihre Stimme ist erstaunlich tief und kratzig. Ich schätze, sie hat in ihrem Leben den ein oder anderen Whiskey getrunken.
Mary fährt einen ziemlich flotten Stiefel und stört sich nicht weiter daran, dass die Straße kurvenreich und eng ist. Entgegenkommenden Fußgänger*innen weicht sie kaum aus und das Tempo verringert sie auch nur geringfügig. Interessant, das mal aus der anderen Perspektive zu erleben.
Ich winke den Menschen freundlich zu, damit nicht das letzte, was sie sehen, ein muffeliger Deutscher ist.
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Das An Dooneen entpuppt sich als das B+B-igste B+B unserer Reise. Mary betreibt es seit über 50 Jahren, hat es stil- und liebevoll mit alten Möbeln eingerichtet und der Teppich ist so dick, dass er es mit seinem Kollegen im Dinn Rí in Carlow aufnehmen kann.
Mary führt uns eine steile, knarzende Treppe hinauf zu unserem Zimmer. Von diesem aus haben wir einen Ausblick auf weite Felder, Hügel und den St. Brandon.
Nebenan ist eine Weide. In kurzen Abständen schauen ein paar schwarz-weiß gefleckte Kühe vorbei und verschwinden wieder. Ich kommentiere das jedes Mal mit: „Da sind die Kühe wieder.“ und „Jetzt sind sie weg.“ Meine Frau zuckt irgendwann mit dem linken Auge und ich glaube sie setzt diesen Moment auf ihre „Warum eine Scheidung nicht vollkommen ausgeschlossen ist“-Liste.
Die Wände des Hauses sind sehr dünn. Im Nachbarzimmer unterhalten sich zwei Personen. Unglücklicherweise verstehen wir nicht jedes Wort. Das ist ja immer wahnsinnig nervig, wenn du die Gespräche andere Menschen nur halb belauschen kannst.
Ich befürchte, unser Fernseher könnte zu laut sein und unsere Zimmernachbar*innen stören. Tut er aber nicht. Zumindest beschwert sich niemand. Vielleicht weil sie wissen, was noch kommt. In der Nacht wird im Nachbarzimmer ein derartiges Schnarchgelage veranstaltet, das ich überlege, ob dort vielleicht ein Dutzend kanadische Holzfäller übernachtet.
Nun weiß ich wenigstens, warum auf der Packliste unseres Reiseanbieters Ohrstöpsel standen.
Gewinnspiel
Die For Me-Karten wurden verlost und die Gewinnerinnen benachrichtigt. Herzlichen Dank an alle, die so fleißig kommentiert haben, und den Gewinnerinnen viel Spaß beim Festival.
Alle Beiträge der Irischen Tagebücher finden Sie hier:
- Vorbereitung: Wie alles begann
- Anreise (02. Juni): Da wackelt nichts
- Zugfahrt (03. Juni): Mit der Ir’schen Eisenbahne
- Etappe 1 (04. Juni): Von Camp nach Annascaul
- Etappe 2 (05. Juni): Von Annascaul nach Dingle
- Etappe 3 (06. Juni): Von Dingle nach Dunquin
- Etappe 4 (07. Juni): Von Dunquin nach Cuas
- Bus- und Zugfahrt (08. Juni): Von Dingle nach Dublin
- Dublin (09. Juni): Wo sind all die Tier hin?
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Ich bin unglaublich beeindruckt von eurer Wanderausdauer!
Wow, Respekt für eure Leistung!
Gibt es schon eine Petition, dass ihr öfter in den Urlaub fahrt, damit es häufiger Urlaubs-Tagebücher gibt? Ich stünde ganz vorne auf der Liste!