Irisches Tagebuch, 09. Juni | Dublin: Wo sind all die Tiere hin? (Teil 2)

Teil 1


Ich muss gestehen, richtig warm werde ich mit Dublin nicht. Nach vier Tagen auf dem Dingle Way, wo du nur ab und an ein paar andere Wander*innen getroffen hast, ist die Großstadt für mich eine konstante Reizüberflutung. Zu viele Menschen, zu viel Lärm, zu viel Verkehr. Dafür zu wenige Kühe und Schafe.

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Am Ende der Grafton Street, auf der anderen Straßenseite, liegt ein kleiner Park. St. Stephen’s Green. Die öffentliche Anlage erstreckt sich über eine Fläche von neun Hektar mit grünem Rasen, Blumenbeeten, angelegten Wegen, Statuen und Gebäuden im viktorianischen Stil. (Natürlich habe ich keine Ahnung von viktorianischen Baustilen. Ich habe das von einer irischen Website übernommen.)

Auf einem kleinen See schwimmt ein Schwanenpaar mit seinen Küken. Alles sehr idyllisch hier. Das ist mehr nach meinem Geschmack als die Reizüberflutung des hektische Großstadttreibens. Leider kam niemand auf die Idee, aus den Grünflächen Weiden für Kühe und Schafe zu machen.

Jetzt reicht es aber mit der verklärenden Naturromantik, Christian. Nur weil du mal ein paar Tage in der irischen Landschaft unterwegs war, musst du hier nicht auf naturverbundenen Einsiedler machen, der nur in der Abgeschiedenheit – und in Begleitung von Kühen und Schafen – mit sich und der Welt im Reinen sein kann. Schlimm!

Außer den Schwänen sehen wir doch noch ein paar Tiere in Dublin. Hauptsächlich Möwen. Richtig stattliche Exemplare. Nicht so kleine Mickerlinge, die sich manchmal an der Spree aufhalten. Umgekehrt sind die Dubliner Tauben viel schmächtiger als ihre Berliner Verwandtschaft. Wahrscheinlich fressen die Möwen ihnen alles weg.

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16 Uhr. Wir treffen die Tochter an einer Tram-Station. Ich übernehme ihren Koffer, sie fährt mit ihrer Mutter zum St. Anne’s Park, etwas außerhalb von Dublin. Dort spielen heute Abend Pulp, eine der Lieblingsbands meiner Frau. Als sie Anfang der 90er erstmals ein Video von ihnen bei MTV gesehen hat, war das mind-blowing für sie. Vor allem die Erkenntnis, dass es auch andere Musik – und vor allem bessere – als bei HR3 gibt. Die Tochter kommt mit, weil ihre Mutter sie gefragt hat, und sie Schwierigkeiten hat, nein zu sagen.

Ich verzichte auf das Konzert. Pulp finde ich zwar ganz okay und Jarvis Cocker ist selbstverständlich unfassbar cool und charismatisch – obwohl er eher uncool und nerdig aussieht –, aber das reicht mir nicht, um mir das live anzuschauen.

Ohnehin versuche ich, Konzerte zu meiden. Besonders von meinen Lieblingsbands. Meistens steht in meiner Nähe irgendein arschgeigiger Trottel und benimmt sich arschgeigig-trottelig. Das macht mir dann schlechte Laune. Ich möchte nicht, dass arschgeigige Trottel den gleichen Musikgeschmack wie ich habe.

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Nachdem ich den töchterlichen Koffer ins Hotel gebracht habe, will ich noch Postkarten besorgen. Für meine Eltern und meine Schwiegermutter. In den Souvenir-Läden finde ich hauptsächlich Dublin-Motive, aber nichts von der Dingle Halbinsel und schon gar nicht vom Dingle Way. Was mich eigentlich nicht wahnsinnig überraschen sollte. Schließlich bekomme ich in Berlin auch keine Postkarten aus dem Harz oder der Lüneburger Heide.

Ich entscheide mich für eine Karte mit einem großen Schaf. Ist ja nicht ausgeschlossen, dass es aus Dingle ist. Vielleicht sogar eins, an dem wir vorbeigelaufen sind. Zumindest werde ich das behaupten.

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Gegen 20 Uhr laufe ich durch Temple Bar. Ein Viertel, bekannt für sein ausschweifendes Nachtleben, und Anziehungspunkt für viele Tourist*innen. Ein Pub reiht sich hier an den nächsten, in vielen gibt es Live-Musik. So entsteht ein bizarrer Mash-up aus „Zombie“, „500 miles” und „Is this the way to Amarillo“. Traditionelle irische Folk-Musik ist Fehlanzeige.

Richtig lohnenswert finde ich Temple Bar nicht. Nicht nur, weil es hier auch keine Kühe und Schafe gibt. Mit den vielen Betrunkenen, die grölend durch die Straßen schwanken, strahlt das Viertel für mich starke Ballermann-Vibes aus. Ein authentisches Irish-Pub-Erlebnis bekommst du hier eher nicht.

Ein Bekannter von mir war Anfang der 90er Jahre in Dublin und gelangte durch Zufall in einen IRA-Pub. Dort waren so viele Menschen, dass du gar nicht bis zur Theke durchkamst. Das Geld und die Getränke wurden einfach über die Köpfe hinweg gereicht. Die Stimmung war trotzdem gigantisch. Oder gerade deswegen. Um 23 Uhr war Sperrstunde und alle sangen zusammen die irische Nationalhymne. Möglicherweise ein etwas zu authentisches Irish-Pub-Erlebnis.

Ich habe ohnehin keine rechte Lust, allein in einen Pub zu gehen. Würde ich in Berlin auch nicht machen. Mich in irgendeine Eckkneipe hocken, in der ich niemanden kenne. Ich habe nicht allzu viele Prinzipien in meinem Leben, aber eines ist, niemals allein Alkohol zu trinken. Sonst hätte ich das Gefühl, die Kontrolle über mein Leben zu verlieren. Interessanterweise habe ich das nicht, wenn ich beim Kölner Karneval schon um 11 Uhr mit dem Kölsch trinken anfange. Da bin ich aber auch in Gesellschaft.

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Ich gehe ins Hotel und ziehe mich um. Schließlich müssen wir morgen um 3 Uhr raus, um zum Flughafen zu fahren.

Als ich im Bett liege, lasse ich die letzten Tage Revue passieren:

  • Wanderstrecke: 92km
  • Wanderzeit: 23 Stunden
  • Schritte: 135.000
  • Höhenmeter: 1.600 Höhenmeter
  • Dingle Dude: 1
  • Blasen: 3
  • Tropfen Regen: 0
  • Schafe: Tausende
  • Kühe: Tausende
  • Pferde: Dutzende
  • Esel: 2
  • Hunde: 4 (Vielleicht auch nur 2; Rassen unbekannt)
  • Insekten: sehr viele
  • Stunden im Zug: 9
  • Stunden im Bus: 3
  • Full Irish Breakfasts: 4
  • Pancakes: 4
  • French Toast: 2
  • Rühreier: 6
  • Avocado-Toast: 1
  • Porridge/Müsli: 3
  • Käseplatte: 1
  • Grapefruits: 3
  • Scones: 3
  • Burger: 7 (2 davon vegetarisch)
  • Pizzen: 2
  • Fish & Chips: 3
  • Lasagne: 1
  • Knoblauchbrot: 1
  • Sandwiches: 19
  • Packungen Crisps: 7
  • Rosinenbrötchen: 6
  • Schokoriegel: 16
  • Packungen Kekse: 2
  • Wasser: 14l
  • Pubs: 7
  • Guinness: 1
  • Lager: 6
  • Ale: 4
  • Cider: 10
  • Gin Tonic: 1
  • Eis: 3
  • Postkarten: 2
  • B+B: 5
  • Hotels: 2
  • Wetter-Small-Talk: ständig

Alles war gut, denke ich und schlafe ein. Ich kann mich fast nie an meine Träume erinnern, so auch diese Nacht nicht. Aber ich gehe davon aus, dass Kühe und Schafe eine wichtige Rolle spielten.


Gewinnspiel

Die For Me-Karten wurden verlost und die Gewinnerinnen benachrichtigt. Herzlichen Dank an alle, die so fleißig kommentiert haben, und den Gewinnerinnen viel Spaß beim Festival.


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Ab heute überall erhältlich, wo es Bücher gibt.

7 Kommentare zu “Irisches Tagebuch, 09. Juni | Dublin: Wo sind all die Tiere hin? (Teil 2)

  1. Und vielen lieben Dank für den tollen, unterhaltsamen Reisebericht! Hat Spaß gemacht, ihn jeden Tag zu lesen. Danke!

  2. Wie war denn das Konzert der Damen?
    Ich hatte den schönsten Konzertabend in Dublin mit anschließenden rudelsingen in der Bahn !
    Natürlich auch irre teuer, aber
    Give concerts a Chance
    Danke fürs Mitnehmen

  3. da ich selbst ganz gerne auf dem rennsteig, oder auch in franken, wandere, habe ich diese tour natürlich abgefeiert.

    schöne kleine lustige erlebnisse. danke dafür.

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