Irisches Tagebuch 2023 | Vorbereitung: Wie alles begann

Wir waren wandern. In Irland. Hier gibt es den Bericht. Nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Falls Ihnen Ihre Lebenszeit nichts wert ist und Sie alle Beiträge der Irischen Tagebücher lesen möchten, werden Sie hier fündig.


Hätte mir vor zehn Jahren jemand gesagt, ich würde mal einen Wanderurlaub machen, hätte ich das kategorisch ausgeschlossen und die geistige Gesundheit dieser Person angezweifelt.

Wanderurlaub war ein Wort, das für mich keinen Sinn ergab. Ein Widerspruch in sich. Ein Paradoxon, um hier mal ein Fremdwort einzuwerfen und Niveau vorzutäuschen.

Laut Wikipedia, der Göttin des Wissens, ist Wandern „eine Form des weiten Gehens über mehrere Stunden“, der Deutsche Wanderverband definiert Wandern als „Freizeitaktivität mit unterschiedlich starker körperlicher Anstrengung“. Urlaub stand dagegen für mich für Entspannung und Erholung, die du durch Nichtstun und Faulenzen erzielst.

Wandern ist aktiv, Urlaub passiv. Das eine hatte mit dem anderen nichts zu tun. Überhaupt nichts. Das war nicht wie Ying und Yang oder zwei Seiten einer Medaille, etwas, das sich ergänzt, sondern schloss sich aus. Wie Feuer und Wasser, Eis und Sonne oder Käsekuchen und Rosenkohl.

Außerdem waren mir Wanderer suspekt. Für mich waren das kernige Mittsechziger mit sonnengegerbter Haut, die ins Reformhaus gehen, sich Darmflora schonend ernähren und praktische, aber hässliche Klamotten tragen. Das entsprach nicht meinem Selbstbild.

Meine Frau schwärmte dagegen schon seit längerem von einem Wanderurlaub. In Schottland. Einmal durch die Highlands laufen und die schottische Natur in sich aufsaugen. (Außerdem hatte sie gelesen, dass es in Schottland frittierte Snickers als Spezialität gäbe. Das sprach auch dafür, dem Land einen Besuch abzustatten.) Dazu zeigte sie mir immer Bilder von grünen Hügellandschaften, denen du dich selbst als überzeugter Stadtmensch nicht gänzlich entziehen kannst.

Ich war trotzdem skeptisch. Also reagierte ich so, wie das in langjährigen Beziehungen üblich ist, wenn du anderer Meinung bist, aber nicht darüber diskutieren möchtest: Ich antwortete mit einem grummelnden Grunzen. Das signalisiert, dass du zugehört hast – das ist ja wichtig in einer Partnerschaft –, bedeutet aber gleichzeitig weder Zustimmung noch Ablehnung. Stattdessen wird das Gespräch auf später verschoben. Im Idealfall auf nie.

Im Laufe der Jahre fand ich die Idee eines Wanderurlaubs aber nicht mehr ganz so abwegig. Nicht aus Altersmilde oder gar -weisheit, sondern aufgrund meines veränderten Stoffwechsels. Mit Mitte/Ende 40 wird es immer herausfordernder für mich, mein Wohlfühl-Gewicht zu wahren. Ich muss Kuchen, Kekse und Schokolade gar nicht anschauen, um zuzunehmen, sondern nur daran denken. (Und ich denke sehr oft an Kuchen, Kekse und Schokolade.) Aktivitäten im Urlaub scheinen mir inzwischen recht hilfreich zu sein – wenn nicht gar erforderlich, um meinen BMI in Schach und im Normbereich zu halten.

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Neue Dynamik erhielt das Wanderurlaub-Thema, als die Tochter letztes Jahr zum Studium nach Irland ging. Wenn dein Kind ins Ausland zieht, willst du es selbstverständlich dort besuchen. Allerdings studiert die Tochter in Carlow, einem Ort im Südosten Irlands, circa 80 Kilometer von Dublin entfernt. Mit rund 14.000 Einwohner*innen ist Carlow sehr übersichtlich. Als ich dort war, um die Tochter bei der Zimmersuche zu unterstützen, dauerte es knapp 60 Minuten, um alle Sehenswürdigkeiten in Carlow zu sehen und zu würdigen.

Meine Frau witterte ihre Wanderurlaub-Chance und schlug vor, wir könnten unseren Besuch nutzen, um in Irland zu wandern. Irland ist offensichtlich nicht Schottland, aber doch ähnlich genug. (So wie Deutschland, Österreich und die Schweiz für Menschen, die nicht aus Deutschland, Österreich oder der Schweiz kommen, mehr oder weniger das Gleiche sind.)

Die Tochter hatte – zu meiner Überraschung – keine Einwände und somit war unser Irland-Wanderurlaub beschlossene Sache. Wir würden einen Tag nach Carlow kommen, dann weiter in den Südwesten fahren, um ein paar Tage auf der Dingle-Halbinsel zu wandern, und zum Abschluss noch anderthalb Tage in Dublin dranhängen.

Der Sohn winkte beim Wort „wandern“ sofort ab. Er steht der Idee eines Aktivurlaubs noch ablehnender gegenüber als ich vormals. Außerdem muss er zur Schule gehen. Das ist ihm aber immer noch lieber, als mit uns durch die irische Natur zu stiefeln. Vor allem wenn er die Wohnung eine Woche für sich allein hat.

Wenn Wander-Trottel wandern wollen

Unser Wanderurlaub-Vorhaben hatte eine große Schwachstelle: uns. Meine Frau und ich sind keine erfahrenen Wander*innen. Und mit „keine erfahrenen Wander*innen“ meine ich „totale Wander-Dummys“. Das ist keine Koketterie oder zur Schau getragene falsche Bescheidenheit, sondern eine nüchterne Tatsachenfeststellung.

Wir haben beide außerdem einen sehr schlechten Orientierungssinn. Eine Schrankwand „Eiche rustikal“ würde sich in unbekanntem Terrain besser zurechtfinden als wir. Auch das ist keine Koketterie oder zur Schau getragene falsche Bescheidenheit, sondern ebenfalls eine nüchterne Tatsachenfeststellung.

(Meine Frau meint übrigens, sie habe einen besseren Orientierungssinn als ich. Das liegt, aber daran, dass ihr Orientierungssinn so schlecht ist, dass sie das bei anderen Menschen gar nicht einschätzen kann.)

Besonders gut im Kartenlesen sind wir auch nicht und – das wird Sie jetzt nicht besonders überraschen – können ebenso wenig mit einem Kompass umgehen. Ich brauche schon unnormal lange, um mir überhaupt vorzustellen, wo Südwest liegt. Links unten. Aber nur auf einer Landkarte und nicht wenn du irgendwo in einem gottverlassenen Feld stehst. Da könnte Südwest für mich über all sein. (Und kommen Sie mir bitte nicht mit „sich am Stand der Sonne orientieren“, ich bin schließlich nicht Teilnehmer in einer verdammten Survival-Show.)

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Da wir weder im Allgemeinen noch was unsere Wanderfähigkeiten angeht an Selbstüberschätzung leiden, dachten wir nicht daran, unseren Wanderurlaub selbst zu planen und vorzubereiten. Schließlich wollten wir nicht in der Zeitung landen.

„254 Tage keine Spur in Irland:
Wo sind die deutschen Wander-Trottel?“

Glücklicherweise gibt es Unternehmen, die genau darauf spezialisiert sind: Touren für Wander-Trottel zu organisieren. Die wenigsten Menschen sehen sich allerdings selbst als Wander-Trottel. Deswegen wird das anders vermarktet. Als Rundum-Sorglos-Paket, oder so ähnlich. Ich finde das schade. Bei einem Angebot namens „Wander-Trottel-Touren“ wüsste ich wenigstens sofort, dass das genau das Richtige für mich ist.

Bei einem dieser Anbieter entschieden wir uns für eine viertägige Wanderung entlang des Dingle Ways. Schwierigkeitsstufe „moderat“. Vier Tage erschienen uns mit unserem Fitness-Level kompatibel (und mit unserem Kontostand), moderat klingt nicht so unterambitioniert wie „leicht“, aber auch nicht überambitioniert wie „schwierig“, und National Geographic hat die Dingle Halbinsel als „den schönsten Platz auf Erden“ bezeichnet, und wer möchte nicht „den schönsten Platz auf Erden“ bewandern? (Wahrscheinlich weniger naive Menschen, die nicht so leicht auf fadenscheinige Marketingversprechen reinfallen.)

Das Wanderreisen-Unternehmen kümmert sich um die Bed + Breakfast-Unterkünfte sowie um den Transfer unseres Gepäcks von Ort und Ort. Das ist sehr praktisch. Mit 20-Kilo-Rucksäcken durch die irische Landschaft zu marschieren, erhöht vielleicht die Authentizität eines Wanderurlaubs, schränkt aber seinen Spaßfaktor erheblich ein. (Was nützt dir „der schönste Platz auf Erden“, wenn du dich mit einem mittelschweren Bandscheibenvorfall rumplagst.)

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Ein paar Wochen vor dem Urlaub erhalten wir ein kleines Päckchen. Dieses enthält Adressanhänger für unser Gepäck, eine Klarsichtmappe für die Unterlagen, drei Pins mit dem Logo des Wanderreiseanbieters sowie ein 40€-Gutschein, der allerdings verfällt, wenn wir nicht bis Ende des Jahres eine weitere Tour buchen.

Außerdem sind dem Paket zwei detaillierte Wanderkarten beigelegt. Viele der Orts- und Gebietsbezeichnungen sind ausschließlich auf Gälisch aufgeführt, was mir das Lesen der Karte nicht gerade einfacher macht. (Um ehrlich zu sein, aber auch nicht wesentlich erschwert.)

Zu den Karten gibt es ein Einführungsbuch, das mit dem schönen Satz beginnt:

„A map is a diagrammatic representation of an area of land or sea showing physical features, cities, roads, etc. usually on a flat surface.”

So wenig verstehen ich dann doch nicht vom Kartenlesen, dass mir erstmal erklärt werden muss, was überhaupt eine Landkarte ist.


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2 Kommentare zu “Irisches Tagebuch 2023 | Vorbereitung: Wie alles begann

  1. Danke für die amüsanten Geschichten. ich wünsche mir irgendwann mal eine Humorsicht auf die Ostsee. Bis dahin schöne Urlaubszeit. :-?

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