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27.06.2021, Santa Teresa
Der erste Morgen am Urlaubsort beginnt mit der Herausforderung, dass wir zum Supermarkt müssen, um den ersten Kaffee trinken zu können. Dabei benötigen wir den Koffeinkick schon vorher, damit er unsere Lebensgeister weckt und uns in menschenähnliche Wesen verwandelt, die zu sozialer Interaktion fähig sind.
Wir waren sogar so vorausschauend, Espressopulver mitzubringen, denn in dem Ferienhaus gibt es eine dieser italienischen Kaffeemaschinen, mit denen du Kaffee auf dem Herd kochst. Aber uns fehlt Milch und wir pflegen unseren Kaffee nun mal mit einem Schuss Milch zu uns zu nehmen. Falls Sie nun vorschlagen wollen, ich könnte, wenn mir die Koffeinzufuhr so wichtig ist, den Kaffee einfach mal ohne Milch trinken, möchte ich Ihnen ganz freundlich erwidern: „SPRECHEN SIE MICH GEFÄLLIGST NICHT AN, BEVOR ICH MEINEN ERSTEN KAFFEE HATTE!”
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Im Supermarkt stellen die Tochter und der Sohn enttäuscht fest, dass das Angebot an Kinder-Produkten nicht mehr so üppig ausfällt wie noch vor vier Jahren. Damals gab es ungefähr drei Regalmeter voll mit Colazione più, Brioss, Panecioc, CereAle und vielem mehr und alles in unterschiedlichen Geschmacksrichtungen. Jetzt sind es nur noch knapp 50 Zentimeter und die Produktpalette ist wesentlich überschaubarer.
Persönlich finde ich das gar nicht so schlimm, ich halte Kinder-Schokolade für überschätzt. Die Schokolade ist mir zu räudig und die Milchmasse zu pappig. (Okay, es ist immer noch Schokolade, aber trotzdem.) Es sind wahrscheinlich Äußerungen wie diese, für die mich die Kinder irgendwann entmündigen lassen und ins Heim stecken.
Wir laufen durch die Supermarkt-Gänge und decken uns mit Grundnahrungsmitteln und anderen Bedarfsgütern ein, damit wir erst wieder in ein paar Tagen einkaufen müssen. Schließlich gilt es auch im Urlaub, Kontakte zu reduzieren und sich im Social Distancing zu üben. Nach und nach füllt sich unser Einkaufswagen: Milch, sardischer Käse, Wurst, Salami, Tomaten, Gurken, Melone, Aprikosen, Äpfel, Nudeln, Tomatensauce, noch mehr Nudeln, Mozzarella, Parmesan, ein weiteres Päckchen Nudeln, Brot, Honig, Marmelade, Nutella – ich wage kaum zu sagen, dass ich inzwischen eigentlich lieber die Schoko-Creme von Milka esse –, Chips, Kekse, Toilettenpapier, Waschpulver, Schwammtücher, Putzzeug, Kerzen, Streichhölzer, stilles Wasser, sprudeliges Wasser, Tee, Rotwein, Bier und Getränke mit bedenklichen Inhaltsstoffen, die wir nur im Urlaub trinken. Außerdem kaufen wir noch zwei kleine Babyelefanten, die es im Doppelpack-Sonderangebot gibt.
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Beim Frühstück beschwert sich der Sohn über das in seinen Augen unsanfte Wecken durch seine Mutter heute früh. „Das war zu laut und außerdem bist du neben dem Bett stehengeblieben, so dass ich mich nicht noch mal umdrehen konnte.“
„Ich halte das seit 23 Jahren aus, dann kannst du das auch“, erkläre ich dem Sohn.
„Ihr seid aber doch schon seit 24 Jahren zusammen“, wirft die Tochter ein.
„Ja, aber im ersten Jahr war es noch okay“, antworte ich und lache.
Meine Frau lacht ebenfalls. Auch nach 24 Jahren hat sie ihren Humor nicht verloren. Was bleibt ihr auch anderes übrig. Außer mich heute Nacht mit dem Kissen zu ersticken.)
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2017 waren wir Anfang August auf Sardinien. Wie so richtige Amateure, denn im August hat ganz Italien frei und alle Italiener:innen fahren dann ans Meer. Wirklich alle. Und mindestens 50 Prozent von ihnen waren an der Rena Bianca, dem beliebtesten Strand in Santa Teresa. In der Woche war von dem Strand allerdings nicht allzu viel zu sehen, weil jeder Quadratzentimeter mit Handtüchern, Decken, Taschen, Sandspielzeug, Kühlboxen, Liegestühlen und Sonnenschirmen bedeckt war. Nachdem wir in den ersten Tagen noch verschämt in den Steinen am Rande des Strands saßen, legten wir irgendwann unsere Scheu – und unsere Scham – ab und legten uns einen Zentimeter neben fremde italienische Familien, sofern wir irgendwo einen 50 Zentimeter freien Spalt erblickten.
Ende Juni hat in Italien noch nicht die Hauptferienzeit begonnen und deswegen ist der Strand dieses Jahr viel leerer. So halten wir nicht nur die Corona-, sondern auch Konventionen ein, was den sozial erwünschten körperlichen Abstand zu fremden Personen angeht, und müssen unsere Liegetücher nicht mit uns unbekannten Italiener:innen teilen. Es fühlt sich fast ein wenig einsam an.
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Nachdem wir uns am Strand ausgebreitet haben, gehen meine Frau und die Kinder ins Wasser, ich übernehme die erste Handtuchwache. Eine alte Urlaubstradition unserer Familie.
Ich mache erstmal ein Nickerchen, was mir unter Umständen als Pflichtverletzung meiner Handtuchwache ausgelegt werden könnte, aber schließlich habe auch ich Urlaub. Im Schlaf träume ich davon, dass ich schlafe. Wie meta ist das denn? Mehr Inception geht nicht. In your face, Leonardo di Caprio.
Was will mir mein Unterbewusstsein damit wohl sagen? Dass ich in mir ruhe? Dass in der Ruhe die Kraft liegt? Oder einfach nur: „Alter, wenn du im Schlaf träumst, dass du schläfst, musst du wirklich mal früher ins Bett gehen.“
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Als ich das erste Mal ins Meer gehe, stelle ich fest, dass ich das Wasser vom letzten Mal erheblich wärmer in Erinnerung habe. Es ist nicht Herzstillstand auslösend kalt, aber die Wassertemperaturen laden definitiv nicht dazu ein, sich mit einem Hechtsprung in die Wellen zu stürzen. (Das würde ich ohnehin nicht machen. Das wäre mir viel zu angeberisch und gockelhaft. Außerdem müsste ich dazu längere Zeit mit dem Kopf unter Wasser und das versuche ich zu vermeiden. Ich bin schließlich kein Fisch.)
Schritt für Schritt begebe ich mich ins Wasser, benetze vorsichtig zuerst meine Handgelenke und dann die Arme, weiche auf Zehenspitzen den kleinen Wellen aus, um den Wassererstkontakt oberhalb des Schritts möglichst lang hinauszuzögern. Der Sohn findet, ich sehe wie jemand aus, der an einer Krankheit leidet, bei der du keine motorische Kontrolle über deinen Körper hat.
Es tut mir für die anderen Strandgäste leid, dass ich ihnen dieses würdelose Schauspiel biete, das sich wahrscheinlich für ewig in ihre Retina einbrennt. Eine unschöne Urlaubserinnerung, die für die Schulkinder nicht einmal als „Mein schönstes Ferienerlebnis“-Material taugt.
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Nach dem Duschen schaue ich mich im Spiegel an. Als ich dem Taxifahrer gestern erzählt habe, dass wir vierzehn Tage auf Sardinien bleiben, sagte er: “Good, good. When you go home you will look like African man.” Nach dem ersten Strandtag sehe ich eher aus wie „lobster man“.
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Abends sitzen wir auf dem Balkon und spielen unsere erste Partie Kniffel. Das hört sich nach heiterem Würfelspaß für die ganze Familie an, aber wir kniffeln mit fast schon religiösem Eifer. Bereits seit 2016 gibt es unser Urlaubs-Familien-Kniffelturnier. Die Gewinnerin oder der Gewinner erhält eine Jumbo-Tüte bei dem Moabiter Eisdealer unseres Vertrauens. Die anderen bekommen jeweils eine einzige Kugel Eis in einer dieser kleinen ekligen, pappigen Waffeln, um das demütigende Gefühl der Niederlage perfekt zu machen und einen Ansporn für das nächste Turnier zu liefern. (Von uns könnten sich Chemnitzer Eiskunstlauf-Trainerinnen eine Scheibe in Sportpädagogik und moderner Psychologie abschneiden.)
Im letzten Jahr habe ich außerdem im Zuge eines Corona-Sonder-Kniffelturniers einen Pokal in der Größe der Champions-League-Trophäe gekauft, in dessen Sockel alle Sieger:innen verewigt sind. (Unser Kniffel-Pokal besteht allerdings nicht aus echtem Silber und Blattgold wie der Champions-League-Vetter. So verrückt sind wir dann doch nicht. Und vor allem nicht so reich.)
Der Sohn ist der Einzige in der Familie, der noch nicht auf dem Pokal steht. Für dieses Jahr hat er sich einiges vorgenommen. Er wirft den ersten Kniffel des Urlaubs und gewinnt auch das erste Spiel. Meine Frau, als Gewinnerin des letzten Corona-Sonderturniers immerhin Titelverteidigerin, startet dagegen mit einem 150er-Low-Score.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
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