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08.07.2021, Santa Teresa di Gallura
Die Sonne scheint, ich sitze auf dem Balkon, trinke einen Espresso und schaue aufs Meer. Mein verstopftes Ohr macht mir immer noch zu schaffen, aber inzwischen habe ich mich damit arrangiert. Bei Unterhaltungen drehe ich mich etwas nach links, kippe den Kopf ganz leicht nach rechts und werfe regelmäßig ein besonnenes „ja, ja” ein. (Vor allem, wenn ich nicht richtig verstehe, über was gerade gesprochen wird.)
Mit etwas Glück wirke ich dabei wie ein sehr reflektierter Intellektueller, der sehr gut zuhört und seine Äußerungen mit sehr viel Bedacht wählt. Mit etwas Pech werde ich für einen senilen, tatterigen Greis gehalten, der nicht mehr so richtig mitbekommt, was um ihn herum passiert.
Egal. Ich nehme einen Schluck Espresso und schaue aufs Meer.
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Der Urlaub geht allmählich zu Ende und ich entscheide mich heute für einen kleinen Nostalgie-Lauf hoch zu unserem alten Ferienhaus, in dem wir 2017 gewohnt haben. Auf dem Weg gibt es einen steilen Anstieg von ungefähr zehn Prozent, bevor es um eine scharfe Kurve geht, nach der es dann noch steiler wird. Das war damals meine tägliche Joggingstrecke.
Das war immer wahnsinnig anstrengend, aber wenn ich sie hinter mich gebracht hatte, gab mir das immer das gute Gefühl, meinen inneren Schweinehund überwunden und etwas geleistet zu haben und körperlich und geistig fit genug zu sein, um diese Strapazen mitzumachen.
Mit meinem Nostalgie-Trip möchte ich den Anstieg heute erneut bezwingen und mich wieder in diese Hochstimmung bringen. Ungefähr 30 Minuten später quäle ich mich den 10-Prozent-Hügel hinauf. Ich schwitze, ächze und verfluche mein Vergangenheits-Ich von vor 30 Minuten, das dachte, es sei eine gute Idee, diese Strecke zu laufen. Idiot!
Während ich laufe, dämmert mir, dass Nostalgie nichts anderes ist als ein Verdrängungsmechanismus, der sich wie ein verklärender Filter über unschöne Erlebnisse legt, so dass du vier Jahre später denkst: „Mensch, das war toll, wie ich damals den Berg hoch gerannt bin und mich wie ein junger Gott gefühlt habe.“, obwohl du in der Realität vor Erschöpfung fast zusammengebrochen bist.
Bitte erinnern Sie mich an diese Erkenntnis, falls wir 2025 wieder Urlaub auf Sardinien machen sollten.
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Dem Herpes auf meiner Lippe geht es blendend. Inzwischen hat er solche Ausmaße angenommen, dass er das Saarland als allgemein akzeptierte Flächen-Vergleichsgröße abgelöst hat. („Der Grand Canyon National Park ist eines der größten Naturwunder der Erde. Mit einer Fläche von knapp 5.000 Quadratkilometern ist er ungefähr halb so groß wie der Lippen-Herpes von Christian Hanne.“)
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Als ich die Bäckerei betrete und gerade zu sprechen ansetzen will, fragt mich die Verkäuferin: „Quattro panini?“ Noch während ich die Frage mit „Si.“ beantworte, packt sie bereits vier Brötchen in eine Tüte.
Toll. Das ist wie in deiner Stammkneipe, wo der Wirt dein Getränk schon zapft, bevor du es bestellt hast. Ich zähle hiermit wohl offiziell zur lieb gewonnenen Stammkundschaft der Bäckerei. Oder die Verkäuferin wollte meine Bestellung nicht abwarten, weil sie es nicht länger erträgt, wie ich mit meinem wirren Kauderwelsch und meiner kruden Aussprache der italienischen Sprache Gewalt antue. Das wäre auch eine mögliche Erklärung. Ich glaube aber, es ist eher das mit der lieb gewonnenen Stammkundschaft.
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Ich döse am Strand ein wenig vor mich hin, als sich ein knapp zweijähriges Mädchen neben mein Handtuch stellt. Es schaut mich mit distanzloser Neugierde an, wie sie nur Kleinkinder an den Tag legen. Nach einem kurzen Blick wendet sich die Kleine in einer Mischung aus Ekel und Furcht ab und rennt schnell zu seinen Eltern. Wahrscheinlich hat sie noch nie einen Lippen-Herpes gesehen, der doppelt so groß wie der Grand Canyon ist und eine eigenartige glibberige Konsistenz aufweist, die irgendwie an geschimmeltes Eiweiß erinnert.
Der Sohn und ich versuchen, unseren Wasser-Volleyball-Rekord von 279 zu überbieten. Beim Stand von 250 schwimmt ein älterer Mann sehr nahe an uns vorbei. Das irritiert mich so sehr, dass ich den Ball verziehe. Das war’s dann mit der neuen Bestmarke.
Nur mit äußerster Mühe und Selbstbeherrschung schaffe ich es, die Contenance zu bewahren. Zumindest äußerlich. Innerlich habe ich einen Melt-Down wie ein Kleinkind vor dem Süßigkeitenregal, wenn es kein Überraschungs-Ei bekommt. Oder wie John McEnroe, wenn sein Aufschlag aus gegeben wird. (Die Älteren erinnern sich.)
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Nach dem Abendessen gehen wir ins Städtchen, um ein paar Mitbringsel besorgen. Ein nicht ganz triviales Unterfangen:
- Die Geschenke dürfen nicht zu sperrig sein und müssen in den Koffer passen.
- Sie dürfen nicht zu schwer sein, denn du willst nicht zehn Euro für ein Mitbringsel ausgeben und dann am Flughafen 50 Euro für das Koffer-Übergewicht bezahlen müssen.
- Sie dürfen nicht zerbrechlich sein, sonst geht das Glas sardischen Honigs auf dem Heimflug kaputt und alle Klamotten werden eingesaut. (Außerdem klingt das wie eine ganz, ganz miese Ausrede, wenn du deinen Eltern erklären musst, warum du ihnen nichts aus dem Urlaub mitgebracht hast.)
- Schließlich sollten die Geschenke konsumierbar sein, weil du deinen Eltern nicht das Haus mit irgendwelchem Tand zumüllen willst. Hässliche Sammelteller mit Sardinien-Motiven sparken nämlich keinen Joy und werden ganz schnell entsorgt. (Kleiner Marie-Kondo-Witz, der vor zwei Jahren aktuell und damals schon nur mäßig lustig war!)
Wir entscheiden uns schließlich für Gewürze und Gebäck. Für uns selbst kaufen wir ein paar geschmacklose Kühlschrankmagneten. Das machen wir schon seit Jahren so im Urlaub und das wird nicht hinterfragt.
Zusätzlich hole ich ein paar Postkarten. Das Schreiben von Urlaubsgrüßen fällt in unserer durch funktionale Arbeitsteilung gekennzeichneten Ehe in meinen Aufgabenbereich. Ich bin quasi der Propaganda-Minister der Familie.
Das Postkartenschreiben habe ich bislang erfolgreich verdrängt, zwei Tag vor unserer Rückreise bekommt diese Aufgabe allmählich eine gewisse Dringlichkeit. Aber mir bleibt ja noch der morgige Tag. Glücklicherweise gibt es in dem Laden auch Briefmarken, so dass ich dafür nicht extra zur Post muss. Sonst würde die Wahrscheinlichkeit, dass ich die Karten abschicke, gegen Null sinken.
Auf dem Heimweg schlendern wir noch ein wenig durch die Gässchen von Santa Teresa. An einem Schaufenster mit Immobilien-Inseraten bleiben meine Frau und ich stehen. (Es schadet ja nichts, ein paar Optionen für die nahe, mittlere oder ferne Zukunft zu eruieren.)
Die Preise sind erstaunlich moderat. Es gibt 60-Quadratmeter-3-Zimmer-Appartements mit direktem Meerblick für 250.000 Euro. Gut, das ist jetzt kein Betrag, den wir einfach so rumliegen haben, aber mit unserem Ersparten, ein wenig zusätzlichem Sparen und einem freundlichen Gespräch mit unserem Bankberater, den wir nicht haben, wäre das schon machbar.
Außerdem gibt es noch das Ausbildungs-/Studiumsgeld, das wir für die Tochter und den Sohn angespart haben. Okay, die beiden müssten sich dann ihr Studium oder ihre Ausbildung selbst finanzieren, aber dafür können sie kostenlos Urlaub auf Sardinien machen. Also, nicht ganz kostenlos. Den Wasser- und Stromverbrauch müssten sie schon übernehmen. Wir haben schließlich einen Kredit abzuzahlen.
Ich überlege, wie wahnsinnig es wäre, wenn wir, die wir die italienische Sprache nicht beherrschen (zumindest außerhalb von Bäckereien), mit den Gepflogenheiten auf der Insel nicht vertraut sind und niemanden kennen, nach Sardinien auswandern würden. Vollkommen wahnsinnig. Aber es gäbe eine sehr sehenswerte und unterhaltsame RTL II-Doku-Serie „Arrivederci Germania! Cretino editione“
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Beim Kniffeln stellt meine Frau mit 419 Punkten einen neuen Urlaubsrekord auf. Ich werde mit immerhin 288 Punkten Zweiter. Der Sohn dagegen schwächelt wie der vom Hungerast geplagte Jan Ullrich 1998 am Col du Galibier – kleine Sportreferenz, die niemand versteht – und erzielt nur 193 Punkte.
Vor dem morgigen Abschlusskniffeln habe ich nur noch 28 Punkte Rückstand auf den Sohn. Mal schauen, ob ich in Santa Teresa einen Laden finde, in dem ich mir ein T-Shirt bedrucken lassen kann: „Kniffel-Cup-Sieger 2021“ Schließlich möchte ich für einen etwaigen Triumph vorbereitet sein und ein paar schöne Foto für die Fans aufnehmen können.
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Kann seit dem 21. März bestellt werden. Muss aber nicht. Wäre aber trotzdem schön. (Affiliate-Link)
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
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