Cassis 2022 – Tag 14 (22.07.): Ein letztes Mal (Teil 2)

Teil 1


Ein letztes Mal zum Supermarkt. Proviant für die Heimreise morgen kaufen.

Nach einer Viertelstunde liegen in unserem Wagen drei Toastbrote, Käse, Schinken, Butter, Kekse mit Schokostückchen, Kekse mit Schokoüberzug, Waffelröllchen mit Schokoüberzug, belgische Waffeln, eine Packung mit kleinen Brioches, eine Packung mit einem großen Brioche, Chips mit Salt and Vinegar, Chips ohne alles, Eistee, Orangina light und Cola Zero. Die Tochter meint, wir würden wie Dreijährige einkaufen, die sonst nie zuckerhaltige Lebensmittel essen dürften, heute aber die Erlaubnis bekommen hätten, alles auszusuchen, worauf sie Lust haben.

Gut, unser Einkaufswageninhalt mag zwar nicht den neuesten ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen über eine gesunde und ausgewogene Ernährung entsprechen, aber er hat doch etwas Gutes: Das erste Mal in zwei Wochen liegt unser Einkauf im zweistelligen Bereich.

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Ein letztes Mal am Strand. Bei unserem ersten Besuch hier hatte ich von den Vorzügen des Steinstrands geschwärmt. Du liegst erstaunlich bequem und hast keinen Sand-to-go in der Ferienwohnung. (Und vor allem nicht in deinem Koffer, wo du ihn ein Jahr später vor dem nächsten Urlaub wiederfindest.)

Die Kinder am Strand stören sich nicht daran, dass es keinen Sand gibt, um Burgen zu bauen und Kuchen zu backen. Sie spielen stattdessen mit den Steinen. Am Wasser steht zum Beispiel ein kleiner Junge, der einen ungefähr kindskopfgroßen Stein immer wieder mit voller Wucht auf einen kleineren Stein wirft. Wahrscheinlich hofft er, dass der am Boden liegende Stein zerschmettert wird. Ich befürchte allerdings, dass er sich eher seinen Fuß zerschmettert.

Neben dem Jungen spielt ein kleines Mädchen ebenfalls mit den Steinen. Allerdings ein sehr spezielles Spiel. Energisch kommandiert sie ihren Papa herum, ihr in einem Eimerchen immer wieder neue Steine zu bringen. Dabei muss er jedes Mal einen anderen Eimer nehmen. Die Kleine hat erstaunlich viele davon. (Fast so viele wie wir Beach-Tennis-Sets.) Nimmt der Vater aus Versehen doch mal den gleichen Eimer, weist sie ihn mit der Freundlichkeit eines Navy-Seals-Ausbilders auf sein Missgeschick hin. Das Ganze sieht ein bisschen so aus, als schuftete der Vater in einem Gefängnissteinbruch. Wobei der Umgang dort wahrscheinlich weniger rau ist.

Während der Papa Steine schleppt, kümmert sich das Mädchen liebevoll um ihre Babypuppe. Diese strahlt mit ihrem fratzenhaften Gesicht, den weit aufgerissenen Augen und dem leicht geöffneten Mund starke Chucky-Vibes aus. Sollte ich heute Nacht schlecht träumen, weiß ich wovon.

Neben unserem Platz sitz ein Mann mit einem kleinen bunten Sonnenschirm auf dem Kopf. Ob er den wohl ironisch trägt? Oder hat er ihn heute Morgen aufgesetzt, sich im Spiegel angeschaut und gedacht: „Wie praktisch. Der Hut schützt mich vor der Sonne und sieht auch noch super aus!“

Etwas entfernt von uns sitzt ein anderes kleines Mädchen in einem Planschbecken. Einem mit Wasser gefüllten Planschbecken. Auf dem Strand. Im ersten Moment irritiert mich das, aber bei längerem Überlegen ist das eigentlich eine gar nicht so schlechte Idee. Da hast du als Eltern Gewissheit, dass dein Kind sicher ist und du musst nicht die ganze Zeit aufpassen, damit ihm im Meer nichts passiert. Aber skurril ist es trotzdem. Ein Planschbecken mit an den Strand zu nehmen, ist wie mit deinem Kind ins Kino zu gehen und ihm dann auf dem Tablet einen anderen Film zu zeigen.

Als wir den Strand verlassen kommt mir eine kleine rundliche Frau entgegen. Auf ihrem T-Shirt steht „Colour of Joy“. Das T-Shirt ist grau. Genau mein Humor.

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Auf dem Heimweg vom Strand werde ich Zeuge eines Verbrechens. Eine junge Frau macht sich einer großen Verletzung der sehr strengen Kleidervorschriften in Cassis schuldig. Hier weisen alle paar Meter Schilder darauf hin, dass du als Mann nicht oberkörperfrei und als Frau nicht im Bikini rumlaufen sollst. Die Hinweise gehen da nicht ins Detail, aber ich glaube, Männer dürfen auch nicht im Bikini und Frauen nicht oben ohne durch den Ort flanieren.

Zuwiderhandlungen kosten 38 Euro. 38 Euro ist eine merkwürdig krumme Summe. Fast wie Lebensmittel, die immer Irgendwas Komma 99 kosten. Um unter der psychologischen Kaufschwelle zu bleiben. Vielleicht ist das hier bei der Strafgebühr auch so. Weil sie unter 40 Euro liegt, verstoßen die Menschen häufiger gegen die Vorschriften und die Stadt nimmt mehr ein. Sehr clever!

Die junge Frau trägt Bikini und darüber ein Strandkleid, das vorne geöffnet ist. Ein städtischer Sicherheitsmann bittet sie höflich, das Kleid zuzuknöpfen. Sie leistet seiner Aufforderung sofort folge Allerdings ist das Strandkleid eher ein dünnes Nichts, so dass der Bikini darunter immer noch zu erkennen ist. Eigentlich sieht er jetzt noch aufreizender aus, als wenn sie vollkommen entblößt rumliefe. Aber Vorschrift ist Vorschrift!

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Möglicherweise fragen Sie sich, ob wir gar kein Eis im Urlaub gegessen haben. (Sehr wahrscheinlich ist Ihnen das vollkommen wumpe, aber es macht ein schönes Gefühl, sich vorzustellen, Sie beschäftigten sich eingehend mit meinen Beiträgen.) Das haben wir tatsächlich nicht getan.

Das liegt nicht daran, weil es einen Mangel an Eisdielen in Cassis gibt. Der Grund sind die unfassbar teuren Eis-Preise. Die günstigste Kugel Eis, die ich im Ort entdeckt habe, liegt bei 2,50 Euro. Das lässt die Verwendung des Wortes günstig etwas unangemessen erscheinen. Dabei handelt es sich nicht um Kugeln in Handballgröße, sondern um durchschnittlich große Eiskugeln. In einem Laden wird sogar 3,60 Euro für die Kugel verlang. Auch dort werden keine kürbisgroßen Eise über die Theke gereicht.

In einem anderen Laden formen die Verkläufer*innen das Eis zu detailgetreuen Blumen. Das ist aufwändig, sieht schön aus und für dieses Eis-Kunsthandwerk ist ein Preis von 2,80 Euro nicht unangemessen. Aber machen wir uns nichts vor: nach zehn Sekunden ist das auch nur noch ein stinknormales Eis.

Normalerweise bin ich ein eher sparsamer Mensch, aber im Urlaub genieße ich das Privileg, nicht auf jeden Cent achten zu müssen. (Die Urlaubskasse runzelt die Stirn. „What?“) Aber bei zwei fuffzig für `ne Kugel Eis ist meine Schmerzgrenze erreicht.

Früher gab es bei uns im Ort das Eiscafé Venezia. (Natürlich hieß das so. Wie auch sonst?) Dort kostete die Kugel Eis 50 Pfennig. 50 Pfennig! Ich behalte das hier aber für mich. Immer wenn ich davon erzähle, und das ist ziemlich oft der Fall, bekommen die Kinder so einen glasigen Tunnelblick. (Die Brausebonbons beim Bäcker haben damals auch nur zwei Pfennig gekostet, aber das ist eine andere Geschichte, die noch uninteressanter ist als die historische Eiskugelpreis-Entwicklung.)

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Apropos Eis. Kommen wir zum Kniffel-Turnier. Das endet mit einer riesigen Enttäuschung für mich. Nicht weil mir doch noch der Gesamtsieg entrissen wird. Das passiert nicht. Im Gegenteil, ich gewinne mit dem größten Vorsprung seit der Aufzeichnung unseres Urlaub-Kniffel-Turniers – und das schreibe ich mit der gebotenen und mir innewohnenden Bescheidenheit.

Ob dieses Triumphs hatte ich eigentlich erwartet, dass Konfetti von der Decke fällt, Champagnerkorken knallen, Raketen starten und die Familie mich auf den Schultern durch die Wohnung und dann durch die Straßen von Cassis trägt, bis die Bürgermeisterin mich am Rathaus empfängt, wo ich die Stadt beehre, indem ich mich als Kniffel-Champion ins Goldene Buch eintrage.

Zu meiner großen Irritation – und sicherlich auch der meiner treuen Stammleser+innen – geschieht nichts dergleichen. Die Familie nimmt meinen geschichtsträchtigen Sieg mit einer Mischung aus Desinteresse und Geringschätzung zur Kenntnis.

Ist mir aber egal. In Berlin lasse ich mir den Kniffel-Pokal mit Spaghetti-Eis füllen.


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Cassis 2022 – Tag 13 (21.07.): The boat that rocked

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„Fuck, fuck, fuck! Warum ist das hier so steil und rutschig? Fuck, fuck, fuck!“ Eine Frage, die ich mir bei meinem morgendlichen Lauf stelle und nicht beantworten kann. Dazu fehlt mir das geographische und geologische Wissen über die Entstehung und Entwicklung der südfranzösischen Topographie.

Ohnehin müsste die Frage eher lauten: „Fuck, fuck, fuck! Warum bin ich so bescheuert, hier zu laufen, wo es so steil und rutschig ist? Fuck, fuck, fuck!“ Wobei ich auch dies nicht beantworten kann, weil mir dazu das psychoanalytische und entwicklungspsychologische Wissen fehlt.

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Cassis 2022 – Tag 12 (20.07.): Türlich, türlich! (Teil 2)

Teil 1


In zwei Tagen endet unser Urlaub. Es ist an der Zeit, uns um Mitbringsel zu kümmern. Schließlich heißt es nicht umsonst: “Urlaubsgeschenke erhalten die Freundschaft.” Außerdem erhöhen sie die Wahrscheinlichkeit, dass deine Eltern ihr Geld später dir vererben und nicht ans örtliche Tierheim spenden.

Als erstes gehen wir in einen Laden, in dem es Gebäck und Kekse aus der Provence gibt. Gebäck ist immer gut. Das besteht aus viel Fett und Zucker. Da legt der Körper nach dem Verzehr den Turbo bei der Glückshormonproduktion ein. Wer würde sich nicht über ein Päckchen Kekse als Urlaubsmitbringsel freuen? Menschen mit Glutenunverträglichkeit. Aber darunter leidet in unseren Familien glücklicherweise niemand.

Wer sich auch nicht freut, ist die Urlaubskasse. Ein Paket Kekse kostet 25 Euro. Und wir reden hier nicht von einem Schrankkoffer voller Gebäck, sondern von einer 500-Gramm-Packung. Schon der Gedanke an den Preis ist ein schwerer Schlag für die Glückshormonproduktion. Um die wieder anzukurbeln, müsstest du eigentlich die Kekse essen, die dir aber zu teuer sind, was dich noch unglücklicher macht. Es ist ein Teufelskreis.

Auf der anderen Straßenseite befindet sich ein Feinkostgeschäft. Davor steht – wie jeden Tag – ein Mann und bietet Probierhäppchen an. Was er genau auf seinem Tablett hat, weiß ich nicht. Ich bin immer schnell an ihm vorbeigehuscht, weil ich Angst hatte, dass er mich ansprechen könnte.

Der Mann trägt eine schwarze Schürze aus dickem Stoff, in die mit goldenem Faden der Name und das Logo des Geschäfts gestickt ist. Ein sicheres Zeichen, dass das Angebot dort sehr hochpreisig ist. Oder haben Sie in einem 1-Euro-Shop schon mal Verkäufer*innen gesehen, die mit Gold bestickte Schürzen tragen? Genau.

Das Schaufenster des Feinkostladens ist sehr edel dekoriert. Ein weiteres Indiz dafür, dass wir dort keine Mitbringsel in unserer Preiskategorie finden. Gegen die Produkte dort, sind die 25-Euro-Kekse billiger Tand.

Stattdessen gehen wir in einen Seifenladen. Seife zu verschenken ist natürlich etwas grenzwertig. Das kann leicht missverstanden werden. (Oder genau richtig.)

Die Seifen sind in großen Stücken sehr verkaufsanregend angerichtet. Sie riechen nach Erdbeere, Himbeere, Apfel, Pfirsich, Mango, Joghurt, Zimt, Vanille und vielem mehr. Bei meinem Friseurbesuch hatte ich geschrieben, dass ich kein Freund von nach Obst duftenden Shampoos bin. Hier riecht das aber alles sehr lecker. Vor allem die Zitronenseife. Die sieht auch aus wie eine Zitrone. Ein Grund mehr, gleich drei Stück davon in unseren Korb zu packen.

Damit uns die Mitbringsel-Optionen nicht ausgehen, hatte ich beim Betreten des Ladens beschlossen, nicht auf die Preise zu schauen. Das war ein ziemlich cleverer Move. So kommt mir das alles total billig vor. (Fast schon geschenkt.) Um diese Illusion nicht zu zerstören, lasse ich meine Frau alleine zur Kasse gehen.

Zum Schluss holen wir uns in einem klassischen Souvenirgeschäft noch einen Kühlschrankmagneten mit einem Bild von Cassis. Das machen wir schon seit Jahren im Urlaub. Also, wir holen uns nicht überall einen Kühlschrankmagneten mit einem Bild von Cassis, sondern mit einem Motiv von dem jeweiligen Urlaubsort. Dies zur Erläuterung, falls Sie das falsch verstanden haben. (Reißen Sie sich bitte zusammen und konzentrieren Sie sich. Es sind nur noch drei Beiträge, die sie lesen müssen!)

Unser Kühlschrank wimmelt inzwischen nur so von Magneten. Eigentlich haben wir gar nicht so viele Sachen, die wir aufhängen können. Schließlich gehen die Tochter und der Sohn schon lange nicht mehr in die Kita. Deswegen bringen sie auch nicht mehr täglich selbstgemalte Bilder vom Umfang des Berliner Telefonbuchs mit. (Falls Sie sich fragen, was ein Telefonbuch ist, sind Sie nach 2004 geboren. Aber dann lesen Sie das hier ohnehin nicht. Oder Sie haben nie ein Telefon besessen, weil Sie Amish sind. Dann lesen Sie das hier aber ebenfalls nicht.)

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Die Würfel sind uns beim Kniffeln heute nicht gewogen. Mir reichen bescheidene 229 Punkte, um Erster zu werden. Schon mein sechster Tagessieg. Damit habe ich 50 Prozent aller Spiele gewonnen. Aber das nur am Rande. Sie sollen nicht den Eindruck bekommen, dass ich mich mit meinen Kniffelerfolgen brüste, weil ich sonst nichts zum Brüsten habe. Das stimmt aber nicht. Ich kann auch einen recht leckeren Käsekuchen backen.


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Cassis 2022 – Tag 11 (19.07.): Was macht die Taube am Strand?

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Erkenntnisse während meines neunten Laufs hier in Cassis: Es ist jeden Morgen gleich heiß und drückend, die Anzahl der Bäume auf dem Flachstück zum Bahnhof ist immer gleich gering und der Berg hinter dem Bahnhof bleibt gleich steil. Ich glaube, ich bin da einer großen Sache auf der Spur.

Für die heutige Laufeinheit habe ich mir sechzehn Kilometer vorgenommen. Ich bleibe anscheinend jeden Tag gleich bescheuert.

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Cassis 2022 – Tag 10 (18.07.): Je ne parle pas français. Really not.

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Kurz nach 8. Bin etwas früher aufgewacht als gestern, bleibe aber noch liegen. Erstens ist das Bett bequem – wenngleich es nicht mit einer Brioches-Matratze punkten kann – zweitens muss ich dann keine Berge hoch joggen, und drittens hat es hier keine 35 Grad, sondern ist erfrischend kühl. Für letzteres sorgt die Klimaanlage in unserem Schlafzimmer.

Die Klimaanlage läuft die ganze Nacht, was mir ein wenig ein schlechtes Öko-Gewissen macht. (Stichwort Stromverbrauch, CO2-Ausstoß usw.) Wir kühlen unseren Raum runter und heizen dadurch den Planeten auf, so dass er für unsere Ur-Ur-Enkel*innen unbewohnbar wird. (Vielleicht schon für unsere Ur-Enkel*innen. Sorry!)

Klimaanlagen sind zwar nicht gut fürs Öko-Karma, aber leider für angenehme Raumtemperaturen. Ohne sie hätten wir sehr unwirtliche Schlafbedingungen und würden über Nacht ganz langsam gegart. Wobei das ja eine sehr schonende und bekömmliche Kochmethode sein soll. (Leckere „Pulled Human“-Rezepte finden Sie im Dark-Web auf meinem Kochblog „Grilling them softly“.) (Verstörende Sätze wie diese sind der Grund, dass auch am Tag 10 dieser Urlaubsblog immer noch kostenfrei ist.)

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Cassis 2022 – Tag 10 (18.07.): Je ne parle pas français. Really not. (Teil 2)

Teil 1


Heute gehen wir ausnahmsweise nicht zu unserem Stamm-Supermarkt. Stattdessen machen wir ein paar Besorgungen in einem der kleineren Tante-Emma-Märkte, an dem wir auf dem Rückweg vom Strand vorbeikommen.

Am Eingang begrüßt uns ein außerordentlich freundlicher Security-Mann und erklärt etwas auf Französisch. Ich antworte mit meinem akzentfreien „Je ne parle pas français.“ Daraufhin erklärt uns der Mann in einem Mix aus einzelnen englischen Worten, pantomimischen Handbewegungen in bester Marcel-Marceau-Tradition sowie etwas, das nach Breakdance-Moves aussieht, wir dürften unsere Strandtaschen nicht mit in den Laden nehmen.

Meine Frau und ich gehen strandtaschenlos durch den Laden und besorgen unsere Sachen, die sich wieder am Prinzip „nur das Allernötigste“ orientieren. Neben Wasser, Brioches und Schoko-Creme noch ein paar Knabbereien für den Abend sowie eisgekühlte Softdrinks, die unser Überleben auf dem steilen Anstieg zu unserer Ferienwohnung sichern sollen.

Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie der Security-Mann in der Obstabteilung der Tochter irgendetwas erzählt. Ich komme ihr zu Hilfe. Wenn ich ihn richtig verstehe, sind die Honigmelonen im Angebot. 3 Stück für 10 Euro. Ich habe keine Ahnung, ob das ein guter Deal ist. Es ist schon sehr lange her, dass ich Honigmelonen gekauft habe. Um ehrlich zu sein, erinnere ich mich nicht, ob ich überhaupt jemals Honigmelonen gekauft habe.

Der Security-Mann lässt sich durch mein „Merci, non, merci“ nicht aus der Ruhe bringen. Er erklärt uns, welches Obst in der Auslage aus der Region kommt. Aprikosen, helle Trauben, dunkle Trauben und die bereits von ihm angepriesenen Honigmelonen. Smalltalken gehört nicht gerade zu meinen Stärken – eine Formulierung, die davon ablenken soll, dass ich über die Small-Talk-Fähigkeiten einer Schrankwand „Eiche rustikal“ verfüge. Daher weiß ich nicht so recht, was ich sagen soll. Im Französischen noch weniger als im Deutschen. Ich werfe einfach an Stellen, die mir am wenigsten unpassend erscheinen, einzelne Worte ein. In erster Linie englische Vokabeln, die ich französisch ausspreche. Wahrscheinlich wundert sich der Security-Mann, warum ich Elbisch rede.

Das hält ihn nicht davon ab, unsere „Unterhaltung“ fortzuführen. Er fragt, wo wir herkommen. „Allemagne“, antworte ich. Seine Augen leuchten. „Ah, die Mannschaft!“, ruft er. Wenigstens einer, der den DFB-Marketingclaim für die deutsche Männermannschaft übernommen hat. Da wird sich Oliver Bierhoff freuen.

Dann fragt er mich: „Bayern?” Ich denke, er will wissen, wo in Deutschland wir wohnen. Also erwidere ich „Non, Berlin.“ Das war aber ein Missverständnis meinerseits, denn er wollte wissen, ob ich Bayern-Fan bin. Nun denkt er, ich bin Berlin-Anhänger. Er verzieht das Gesicht und sagt „Hertha bäh!” Dazu macht er eine wegwerfende Handbewegung.

Das verstehe ich sehr gut, denn ich hege auch keinerlei Sympathien für Hertha BSC. Deswegen sage ich „Hertha non“ und mache dazu eine linkische Daumenbewegung nach unten. Wahrscheinlich hält der Security-Mann mich jetzt für einen rückgratlosen Lappen, der seinen Lieblingsverein verleugnet und ihm nach dem Mund redet. Diesen unschmeichelhaften Eindruck verstärke ich, indem ich „Bayern top“ sage. Dabei bewege ich den Daumen nach oben. Hoffentlich ist das in Frankreich keine obszöne Geste à la „Ich steck dir meinen Daumen in den Po.“

Der Security-Mann nickt aber anerkennend und sagt „Bayern monster.“ Wenn ich nicht vollkommen falsch liege, erzählt er dann, dass er Müller gut findet und die Bayern mal im Velodrom, dem Stadion von Olympique Marseille, gesehen hat. Anstatt mich langsam aus der Unterhaltung zu stehlen, fühle ich mich bemüßigt, ihn auch nach seinem Lieblingsclub zu fragen: „Favourite club toi?“ Das hört sich an, als könnte ich nicht nur kein Französisch, sondern auch kein Englisch. Und wahrscheinlich nicht einmal Deutsch.

Die Tochter steht derweil mit regungslosem Gesichtsausdruck neben mir. Wahrscheinlich würde sie gerne gehen, aber meine Interaktion mit dem Sicherheitsmann ist wie ein Autounfall, bei dem du nicht wegschauen kannst.

Meine kryptische Frage löst bei dem Security-Mann einen Redeschwall aus, von dem ich Null Komma Nichts verstehe. Damit ich nicht vollkommen nutzlos rumstehe, werfe ich ab und an ein „Oui“ ein. Diese sinnentleerte Zustimmung animiert in ungünstigerweise, seinen Monolog fortzuführen.

Ein ehemaliger Kollege, der früher im diplomatischen Dienst gearbeitet hat, hat mir mal erklärt, dass du beim Smalltalk immer eine Exit-Option parat haben solltest, durch die du die Unterhaltung elegant verlassen kannst. Fieberhaft suche ich jetzt nach einem geschmeidigen Gesprächsausstieg. Ich könnte mich mit Benzin übergießen und anzünden. Das wäre aber vielleicht ein wenig zu radikal. Stattdessen wähle ich einen nur geringfügig eleganteren Abgang: Ich deute auf mein Handgelenk, an dem sich allerdings gar keine Armbanduhr befindet, und sage „Pardon.“ Dann nehme ich drei Honigmelonen und gehe zur Kasse.

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Nach ihrem gestrigen Premieren-Kniffelsieg legt die Tochter heute mit einer 314er-Runde nach. Das reicht trotzdem nicht zum Tagessieg. Den hole ich mir dank eines Doppel-Kniffels. Trotzdem komme ich nur auf 348 Punkte. Das liegt am verpassten Bonus im oberen und einem gestrichenen Viererpasch im unteren Teil. Der Rest der Familie findet dafür aber keine Worte des Bedauerns und des Mitgefühls. Diese emotionale Kälte, ist der Preis, den du als Führender für deinen Erfolg bezahlen musst.

Der Sohn überholt seine Mutter und ist als Zweitplatzierter nun mein ärgster Verfolger. Wobei mir bei einem Rückstand von 400 Punkten, die Bezeichnung „ärgster Verfolger“ nicht ganz passend erscheint. Fast schon irreführend. Möglicherweise sind solche Sätze der Grund für die emotionale Kälte, die mir meine „Mit“spieler*innen entgegenbringen.


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Cassis 2022 – Tag 09 (17.07.): Ein Königreich für ein Wasser, Wasser, Wasser

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Viertel vor zehn, ich laufe die flache Straße Richtung Bahnhof hinunter. Die Sonne hat das Thermometer schon auf 33 Grad gepusht. Das Einzige, woran ich denken kann, ist „Wasser, Wasser, Wasser!”

Dabei war mein heutiger Laufplan gut. Vierzehn Kilometer, aber ohne Höhenmeter und ohne „Hunger Games“-Waldweg. Einfach so oft zwischen Kreisel und Bahnhof hin und her laufen, bis die erwünschte Distanz beisammen ist. Das ist zwar etwas öde, aber ich muss mir ja nicht jeden Tag diesen Anstieg hinterm Bahnhof geben. Ich bin schließlich keine 20 mehr. (Mein 20-jähriges Ich schaut mich entgeistert an und fragt: „Und warum soll ich jeden Tag diesen verschissenen Berg hoch rennen? Geht’s noch?“

So gut der Laufplan in der Theorie war, so mangelhaft war er in der Umsetzung. Das fing damit an, dass ich erst um 8.30 Uhr aufgewacht bin. Ist im Urlaub ja eigentlich ganz schön. Sofern du dann sofort losläufst, um die schlimmste Hitze zu vermeiden. Habe ich aber nicht getan. Stattdessen habe ich rumgedödelt – Kaffee, Balkon, Aussicht, noch ein Kaffee, Internet lesen – und dadurch erst um halb zehn mit meinem Lauf angefangen.

Die Sonne war da bereits auf Betriebstemperatur und hat gebrutzelt, was das Zeug hält. Sie müssen mir nicht schreiben, dass es sehr unvernünftig ist, in der prallen Sonne bei über 30 Grad zu laufen. Das ist mir durchaus bewusst. Aber ich kenne meinen Körper und weiß, was ich ihm zumuten kann. Auf Sardinien und Kreta bin ich bei ähnlich hohen Temperaturen gelaufen. Wobei das Unvernünftige natürlich nicht vernünftiger wird, nur weil du es mehrmals tust. Mein Körper nickt und ruft: „Wasser, Wasser, Wasser!”

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Cassis 2022 – Tag 09 (17.07.): Ein Königreich für ein Wasser, Wasser, Wasser (Teil 2)

Teil 1


Auf dem Weg zum Strand laufen wir durch die Fußgängerzone von Cassis. Am Anfang kommen wir an einem Laden vorbei, in dem ausschließlich Badelatschen verkauft werden. Die heißen aber bestimmt nicht Latschen. Dafür sind sie zu teuer.

Durch die geöffnete Ladentür wabert ein intensiver Gummigeruch nach draußen. Nicht gerade verkaufsfördernd. Wer möchte schon Schuhe anziehen, bei denen du Angst hast, dass dir irgendwelche Weichmacher und andere krebserregende Inhaltsstoffe, die auf der EU-Verbotsliste für gesundheitsgefährdende Chemikalien stehen, in die Fußsohlen diffundieren. Vor dem Laden liegt ein huskyartiger Hund und döst. Vielleicht ist er auch von den Gummi-Ausdünstungen berauscht.

Nach dem Badelatschen-Laden kommt ein Spielzeuggeschäft. Am Eingang hängt ein kleiner, grüner Plastikkäfig, in dem ein batteriebetriebener Hamster sitzt. Ab und zu bewegt er sich und fiept dabei. Unsere Kinder sind zu alt, um quengelnd zu verlangen, dass wir den Hamster unbedingt und sofort kaufen sollen. Schade eigentlich. Vielleicht wünsche ich ihn mir zum Geburtstag.

Außerdem gibt es viele kleine Boutiquen in Cassis. In denen wird unaufgeregt lässige Mode angeboten, wie du sie nur in Frankreich bekommst. Mit dieser Kleidung demonstrierst du Stilsicherheit und Geschmack. Deswegen kann ich das leider nicht tragen. Ich käme mir darin wie ein Hochstapler vor.

Ohnehin sind die Mode-Ladengeschäfte viel zu klein. Dort bist du dem Verkaufspersonal sofort schutzlos ausgeliefert. Wenn du gefragt wirst, ob du etwas Bestimmtes suchst, kannst du dich nicht elegant aus der Affäre ziehen, indem du nuschelst: „Ich schau mich nur mal um.“ Da schaust du einmal nach links, einmal nach rechts und einmal nach hinten und dann wars das mit der Umschauerei

Unauffälliges Rausschleichen ist auch nicht drin. Um den Laden zu verlassen, musst du dich an der Tür direkt an der Verkäuferin oder dem Verkäufer vorbeidrücken. Die sind dann ganz enttäuscht, weil du nichts gekauft hast. Das möchtest du natürlich nicht und deswegen nimmst du doch irgendetwas und plötzlich läufst du in einem blumengemusterten Hawaii-Hemd rum, als seist du auf dem Weg zu der Motto-Party „Wenn ich groß bin, werd’ ich cool.“

Ramschläden, in denen du minderwertiges Wasser- und Strandspielzeug kaufen kannst, zum Beispiel Beach-Tennis-Sets, gibt es fast gar keine. Mir ist nur einer aufgefallen. Der liegt strategisch günstig kurz vor dem Strand und wir kommen fast täglich daran vorbei. Davor sitzt immer eine Jugendliche und lächelt mich an. Sie ist allerhöchstens 18 und deswegen ist mir das ein bisschen unangenehm. Muss es aber gar nicht. Als ich heute an dem Laden vorbeilaufe, ignoriert sie mich. Diesmal bin ich allein unterwegs und der Sohn lief nicht wie sonst neben mir. Anscheinend hat sie immer ihm zugelächelt und das ergibt natürlich viel mehr Sinn.

Wenn du beim Fotografieren, den Schatten im Bildausschnitt nicht siehst, und beim Hochladen zu faul bist, das Bild zuzuschneiden.

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Ich mag an unserem Stamm-Strand in Cassis, dass er so divers ist und sich niemand daran stört, wie du aussiehst oder was du machst. Hierher kommen alte und junge Menschen, Familien mit kleinen und großen Kindern, heterosexuelle und homosexuelle Paare, Volltätowierte, Halbtätowierte und Untätowierte sowie Dicke, Mitteldicke, Mitteldünne und Dünne. Frauen in Bikinis und Badeanzügen liegen und baden hier genauso wie barbusige Frauen oder kopftuchtragende Frauen, die mit T-Shirts und Leggins ins Wasser gehen. Außerdem sind hier gefühlt mehr Nationen vertreten als bei der UN-Vollversammlung.

Alle kommen gut miteinander aus, alles ist friedlich, es gibt keinen Streit und keinen Zwist. Fast schon paradiesisch. Fehlt nur noch, dass Löwe und Lamm miteinander spielen und wir alle gemeinsam „Kumbaya“ anstimmen.

Positiv ist auch, dass es hier im Vergleich zu Sardinien nicht so viele Menschen gibt, die wie Modellathleten aussehen. Als seien sie gerade von einem Sports-Illustrated-Cover gesprungen. Das wirkt sich sehr positiv auf das eigene Körpergefühl aus.

Außer heute. Da stehe ich im Wasser – zu meiner eigenen Überraschung – und direkt neben mir ein Hüne von einem Mensch. Bei dem ist alles ausdefiniert und an seinem Körper ist kein Gramm Fett zu viel. Wie eine menschgewordene Granit-Statue. (Die könnte in Marseille ausgestellt werden.) Mit festen Bizeps, Trizeps, Brust-, Bauch-, Schulter-, Rücken- und Gesäßmuskeln. An dem Mann könntest du Anatomiestudien durchführen.

Er ist so gut gebaut, dass ich selbst als heterosexueller Mann das Bedürfnis verspüre, ihn anzufassen. Aber das möchte er sicherlich nicht. Das respektiere ich natürlich. Ich möchte ja nicht übergriffig sein. Und außerdem hat der Mann, wie bereits erwähnt, feste Bizeps, Trizeps, Brust-, Bauch-, Schulter-, Rücken- und Gesäßmuskeln. Vielfache Argumente, ihn nicht ungefragt anzufassen.

Ich versuche, mich möglichst gerade hinzustellen. Etwas breitbeinig, damit das Becken weniger auslaufend erscheint, Schultern nach hinten, Brust raus, Bauch rein. (Vielleicht sollte ich doch mal mittags die Brioches weglassen.) Trotz meiner Bemühungen gebe ich neben dieser menschgewordenen Muskelmasse ein bemitleidenswertes Bild ab. Wie jemand, der sich den ganzen Tag am Schreibtisch den Hintern breitsitzt. (Oh, wait?!)

Als wir zufällig gleichzeitig das Wasser verlassen, mache ich aber doch noch eine bessere Figur als dieser aus Stein gemeißelte Adonis. Mir macht es nicht so viel aus, über den Steinstrand zu laufen. Mr. Universum trippelt dagegen in kleinen Schritten und schwankt dabei fast schon slapstickhaft. Sein Gesicht ist vor Schmerz oder in Antizipation des Schmerzes verzerrt. Ich bin kurz davor, ihm anzubieten, ihn huckepack zu seinem Platz zu tragen. Dabei könnte ich dann seine Muskeln anfassen.

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Der heutige Kniffel-Abend bringt eine Premiere: Die Tochter gewinnt ihr erstes Spiel des Urlaubs. Der Sohn rückt näher an seine Mutter in der Gesamtwertung, ich verteidige bräsig meine Führung.


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Cassis 2022 – Tag 05 (13.07.): Ein Tag ohne Routinen. Fast wie im Urlaub.

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7.30 Uhr. Die Zikaden lärmen draußen. Immerhin bin ich nicht sofort von ihrem Getöse aufgewacht. Möglicherweise ein erster Gewöhnungseffekt. Oder ich habe ihr Geratsche und Gekreische in meinen Traum eingebaut. Allerdings kann ich mich nicht erinnern, dass ich von einem Kettensägenmassaker geträumt habe.

Damit habe ich heute erneut ein wenig länger geschlafen als noch gestern. Ich nähere mich dem Konzept „Ausschlafen“ in kleinen Schritten. Oder in kleinen Schnarchern. (Miese Kalauer wie diese sind der Grund, warum ich für meine Blog-Beiträge kein Geld verlange.)

Das spätere Aufstehen bedeutet jedoch auch, dass ich erst später zum Laufen aufbreche. Kurz nach neun. Vorher wollte der Kaffee getrunken, der Balkon besessen, die Aussicht genossen und das Internet gelesen werden. Außerdem musste ich mich mental auf die Laufeinheit vorbereiten. Das hat am längsten gedauert.

Ich laufe wie immer bis zum Bahnhof. Dort drehe ich aber um, weil ich mir – und meinen Knien – nicht schon wieder den Anstieg aus der Läuferhölle geben will. Schließlich bin ich hier im Urlaub und nicht in einem Bootcamp für schwer erziehbare Jugendliche. (Angesichts meines Brioche- und Keks-Konsums möglicherweise in einem Bootcamp für schwer abnehmende Mittvierziger.)

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Cassis 2022 – Tag 05 (13.07.): Ein Tag ohne Routinen. Fast wie im Urlaub. (Teil 2)

Teil 1


In den letzten beiden Tagen war unser Hunger größer, als der vorgestrige Großeinkauf groß war. Der Kühlschrank ist nahezu leer und die Wasservorräte gehen zuneige. Wir müssen zum Supermarkt.

Diesmal konzentrieren wir uns tatsächlich auf die allernötigsten Grundnahrungsmittel. Das klappt recht gut. Wir brauchen ja keine neue Literflasche Aperol. (Für wie versoffen halten Sie uns eigentlich?) Außerdem haben wir Chips und Kekse als allernötigste Grundnahrungsmittel deklariert. Und Brioches. Das ist möglicherweise die Ursache, warum unser Wagen am Ende des Einkaufes nicht viel leerer ist als beim letzten Mal.

Vor uns hat sich eine niederländische Familie in die Schlage eingereiht. Ihr Wagen ist noch voller als unserer. (Respekt!) Sehr langsam und unkonzentriert packen sie ihre Waren auf das Kassenband. Mich macht das nervös. Gut, ich habe keinen Zeitdruck oder irgendwelche Anschlusstermine. Trotzdem möchte ich meinen Urlaub nicht unnötig lange in einer Supermarktschlange verbringen.

Noch mehr als das langsame Tempo irritiert mich, dass die Niederländer ihre Sachen vollkommen planlos auf das Band legen. Kreuz und quer. Ohne Sinn und Verstand. Ich bin kurz davor, mich vorbeizudrängeln, um ihren Wagen aus- und ihre Einkaufstüten einzuräumen. Was das angeht, bin ich ganz Deutscher: Das Kassenband muss mit System und Ordnung bestückt werden. Die schweren Sachen zuerst, dann die weichen und zum Schluss die zerbrechlichen. Und genauso muss das in die Einkaufstaschen wandern. Alles andere ist Unfug, Unsinn und Unvernunft.

Das Arbeitstempo der Kassiererin ist auch nicht gerade rekordverdächtig. Aus Deutschland bist du es gewohnt, dass die Kassierer*innen die Waren so schnell über den Scanner ziehen, dass du kaum hinterherkommst, sie wegzupacken. Die französischen Kolleginnen sind da wesentlich gemütlicher. Sie scannen die Produkte mit Gemach, kontrollieren regelmäßig auf dem kleinen Monitor, ob ihnen kein Fehler unterlaufen ist, und sind einem kleinen Schwätzchen nicht abgeneigt. Nicht mit den Kund*innen, sondern mit den Kassierer*innen links und rechts von ihnen.

Meine Tochter würde sagen: „Das ist ein You-Problem. Ist doch toll, wenn sich die Kassierer*innen nicht den Ausbeutungsmechanismen der kapitalistischen Lohnsklaverei unterwerfen.“ (Oder so etwas ähnliches.) Damit hat sie recht. Ein bisschen Entschleunigung hat ja etwas Gutes. Besonders im Urlaub ist das sehr erholsam.

Als wir an der Reihe sind, übernehmen die Kinder das Ausräumen der Waren aus unserem Wagen, meine Frau und ich verstauen diese in unseren Rucksäcken und Taschen. Ab und an werfe ich der Tochter und dem Sohn einen scharfen Blick zu, wenn sie mein striktes Wie-Lebensmittel-auf-das-Kassenband zu-legen-sind-Dogma missachten (Schwer → weich → zerbrechlich. Merken Sie sich das. Falls Sie an der Kasse mal vor mir stehen.)

Nach geraumer Zeit ist alles eingescannt. Der Betrag auf dem Kassendisplay ist wieder dreistellig. Vielleicht ist das langsame Tempo der Kassiererinnen doch nicht so schlecht. Dann dauert es länger, bis du erfährst, wieviel du bezahlen musst. Das ist auch sehr erholsam.

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Inzwischen ist es bereits 14.30 Uhr. Wir beschließen, nicht wie sonst an den Strand zu gehen, sondern ein bisschen durch das Städtchen zu flanieren. Nachdem ich heute schon eine andere Strecke gelaufen bin und bei einem anderen Bäcker war, brechen wir also mit einer weiteren Routine. Komme mir vor wie ein Hippie, der jegliche Strukturen und Regeln ablehnt und ziel- und planlos in den Tag lebt. (Andere Menschen nennen das Urlaub.)

„Durchs Städtchen flanieren“ ist keine tagesfüllende Beschäftigung, nicht einmal eine nachmittagfüllende, denn Cassis ist nicht sonderlich groß. Am Ende des Hafens gehen wir durch eine kleine Gasse. Nach einem kurzen Fußweg kommen wir an einem alten Haus vorbei.

Vielleicht ist das das Rathaus aus dem 16. Jahrhundert mit der alten Treppe. Oder eine der anderen Sehenswürdigkeiten, von denen ich im Internet gelesen hatte. Keine Ahnung. Das passiert mir häufig. Ich lese etwas und vergesse es direkt wieder. Manchmal während des Lesens.

Zumindest kann ich ausschließen, dass es sich bei dem Gebäude um den alten Gemeindebackofen handelt. Außer der ging über zwei Etagen und hatte eine große Flügeltür als Klappe.

Ein Schild am Straßenrand weist den Weg zu dem anderen Strand in Cassis. Den können wir uns ja mal anschauen. (Hoffentlich bekommt das unser Stamm-Strand nicht mit und ist beleidigt.) Die Straße zum Strand geht steil bergab, verfügt nur über einen sehr schmalen Gehweg und ist sehr kurvenreich.

Wem die Kurven nichts ausmachen, sind die vielen Motorroller-Fahrer. Die fahren in halsbrecherischem Tempo die Straße hinunter. Dabei schneiden sie an den unübersichtlichsten Stellen die Kurven, als hätten sie neun Leben. Oder einen Termin bei Gott.

Einer fährt sogar auf dem Hinterrad den Berg hoch. Ich glaube, er will der Tochter imponieren. Die ist maximal unimponiert.

Der Sohn findet die Rollerfahrer cool. Er würde auch gerne einen Moped-Führerschein machen. Hoffentlich vergisst er das, bis wir wieder in Berlin sind. Dann müssen wir es ihm nicht verbieten. Beziehungsweise – pädagogisch wertvoll – argumentativ davon überzeugen, dass das keine gute Idee ist.

Der andere Strand ist etwas kleiner und dadurch etwas voller. Und die Besucher*innen etwas jünger. Eher so Spät-Millennials und Früh-Generation-Zer. Da würde ich nur unangenehm auffallen. Außerdem ist der Weg viel zu lang. Wir werden also bei unserem Stamm-Strand bleiben. (Der Stamm-Strand wischt sich unauffällig eine Träne aus dem Augenwinkel.)

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Neues Kniffelspiel, neuer Kniffelsieg. Für mich zumindest. Und nicht nur ein Sieg, sondern ein Triumph. Ich werfe drei Kniffel und komme auf 479 Punkte. Weil ich einen 1er-Kniffel beim Dreier- und einen 2er-Kinffel beim Vierer-Pasch eintragen muss, sind es nicht noch mehr Punkte. Das Bedauern der anderen hält sich in Grenzen.

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Vollmond über Cassis

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