Auch dieses Jahr steigert der musikalische Adventskalender die Vorfreude auf das Weihnachtsfest ins Unermessliche. Diesmal mit ganz vielen phantastischen Gastautorinnen und Gastautoren, die ihre liebsten Lieder zur Weihnachtszeit vorstellen. Viel Spaß beim Hören!
###
Die heutige Gastautorin ist der lebende Beweis, dass Sachsen so viel besser ist als sein gegenwärtiger Ruf. Rike lebt im Dresdner Stadtteil Pieschen und ist eine der freundlichsten, fröhlichsten, tolerantesten, gastfreundlichsten, großzügigsten und warmherzigsten Personen, die ich kenne. Auf ihrem Blog ‚Nieselpriem‘ – was auf Sächsisch Langweiler bedeutet und nicht irreführender sein könnte – schreibt sie über die „Aufzucht und Pflege der Jungen“. Ob sich diese Blog-Unterzeile nur auf ihre beiden Söhne oder auch ihren Mann aka „Der Bärtige“ bezieht, lässt sich nur mutmaßen.
Das Rike auch eine sehr mutige Frau ist, beweist ihre Liedauswahl. Ich kenne nur sehr wenige Menschen, die sich das trauen würden (zum Beispiel Fallschirmspringer, Bungee-Jumper oder Raubkatzen-Dompteure). Auf jeden Fall ist der Song aber dem musikalischen Adventskalender absolut würdig.
Ein Ritt im Schnee
Weihnachten ist aufregend! Immer schon. Wenngleich die Aufregung aus Kindertagen mitunter nichts mit der heutigen gemein hat…
Heute bin ich schon ab Ende September aufgeregt. Wird der Alkohol reichen? Werden wieder alle krank sein oder nur ich? Und: Was schenken, was kochen, wie dekorieren. Grün? Rot? Und in Kombination mit Gold? Kupfer? Silber? Weiß?
Früher war der Baum ja immer rot (also der Baum war auch in der DDR eigentlich immer grün, aber der Baumschmuck war… ihr wisst schon). Und Musik war natürlich auch wichtig! Zu „La Montanara“ und dem „Schneewalzer“ (dem von Heino) packten wir Geschenke aus und der Vati trank ein Radeberger Bier zur Feier des Tages und die Mutti eine „Grüne Wiese“ (Der eine oder andere kennt das Mischgetränk vermutlich unter dem Namen „Swimmingpool“, aber in der DDR gab es mehr grüne Wiesen als Swimmingpools, daher wurde der Getränkename etwas modifiziert.). Und wer jetzt arthritische Weißkappen vor sich sieht, nein, meine Eltern waren zu dieser Zeit Mitte dreißig… Kein Wunder also, dass mich das emotional sehr mitgenommen hat!
Bei uns gibt es an Weihnachten heute also weder Radeberger Bier, noch Swimmingpools oder Heino und Vico Torriani (das ist der mit „La Montanara“). Wir trinken alle irgendwas und hören ganz andere besinnliche Musik.
Das, was wir so unter „besinnlich“ verstehen. Diesbezüglich einen gemeinsamen Nenner zu finden, ist schwer genug. Würfe jeder seine Lieblingsinterpreten in einen Topf, hätten wir einen Weihnachtschor bestehend aus Alligatoah, Rolf Zuckowski, irgendeinem x-beliebigen unterleibzuckendem Soulbarden und einem Techno- oder House-DJ. Nach langem Hin und Her und dem gescheiterten Versuch, es mit klassischer Weihnachtseinschlafmusik zu versuchen, landeten wir bei der „Soul Christmas Edition“. Also mehreren. Im altmodischen CD-Wechsler liegen also stets sechs harmlos klingende, jegliche Situation unaufdringlich pastellfarben einlullende Tonträger. Soul tut niemandem weh, Soul mag eigentlich jeder. Oder?
Nun, es gibt da aber einen Effekt, der sich mir nicht erklärt. Bei sechs CDs und circa einhundert in Dauerschleife laufendender Songs dürfte einem ja eigentlich auch nicht langweilig werden. Aber da ist ein Lied, das sich mir mittlerweile eingebrannt hat und das so unabänderlich mit all unseren familiären Weihnachtsdesastern verknüpft ist, dass ich es getrost „unser Weihnachtslied“ nennen kann. Und muss. Sarah Connor mit „Let´s take a ride in the snow“.
“Let’s take a ride in the snow”
…forderte sie mich auf, als ich mit roten Augen und meine verschleimten Nebenhöhlen freirotzend vier Kilo Plätzchenteig nach Gefühl zusammenmatschte.
“The feeling´s merry and bright “
…behauptete sie, während ich fluchend die Plätzchenscheiße in den Ofen schob, rausholte, wegwarf.
“No need to know where we go”
…wusste sie treffsicher, als ich in die Stiefel schlüpfte, um beim ortsansässigen Bäcker Butterkeksersatz zu erwerben.
“We don´t sleep today, we make a getaway”
…sang sie, während wir uns zofften, weil die Schwiegermutter am Heiligabend kommen soll/muss/wird.
“It is like a fairytale”
…trällerte sie fröhlich (Und ich dachte: Recht haste, Sarah, aber ein schlechtes Märchen!), während ich der frisch eingetroffenen Gästin einen Kaffee anbot und fragte, wie sie ihn trinken mag. „Schwarz bitte! Ganz einfach, ohne irgendwelchen Schnickschnack. Aber bitte nur halbvoll. Und in einem großen Becher. Nein, das ist eine Tasse. Das ist auch kein großer Becher! Ihr werdet doch wohl einen großen Kaffeebecher in euerm Haushalt haben! Na gut, nehme ich eben diese Tasse hier. Unglaublich, keinen einzigen Kaffeebecher besitzen die… Jetzt brauche ich noch einen Topf mit kaltem Wasser. Wozu? Was soll diese Frage?! Natürlich, um den Kaffeebecher mit dem Kaffee da hineinstellen zu können zum Abkühlen! Eine Eieruhr bitte noch. Drei Minuten sind optimal. Ja, danke, so wird’s gehen…“.
Und abends dann lagen an mindestens zwei Weihnachtsfesten meine zwei großen Männer rotzend und röchelnd in ihren Betten, während ich mit dem Schlaflos-Baby im Kinderwagen einsame Runden in der kalten einsamen Stadt drehte. Und wollt ihr wetten, wer gerade sang, als ich wieder nach Hause kam? Genau!
“Right on the night
when the moon’s gonna turn on his light
no need to say, we’re gonna stray
but we don’t walk ´cause we’re going for miles”
Danke Sarah. Wirklich, für alles! Aber wenn Du in diesem Jahr nicht in Dauerschleife…
“Still making love on Christmas day
Sleigh bells go ring-a-ding-a-ding
full moon above
tonight my heart is gonna sing ‘
´cause I’m in love”
…trällerst, fliegst du raus! Aus´m CD-Wechsler und aus meinem Leben! Und wirst durch Alligatoah und Rolf Zuckowski ersetzt. Und nimm die Schwiegermutter mit! Wie die ihren Kaffee will, weißt du ja jetzt.
Euch allen eine aufregende, anregende und musikalisch besinnliche Weihnachtszeit!
Und jetzt alle mitsingen:
###
Liebe Rike, vielen Dank für dieses weihnachtsmusikalische Kleinod.
Wer mehr von ‘Nieselpriem’ lesen will, wird hier fündig:
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)