Die Wutprobe

»WILLE ABER NICHT!« Es ist Sonntag, 18 Uhr, und die Freundin hat der Tochter gerade erklärt, dass es Zeit für die Badewanne ist. Diese hält Baden aber für einen inakzeptablen Hygieneterror, was sie lautstark kundtut. Mit mehreren Kubikmetern Badeschaum, einer Armada an Badetieren sowie einigen unverhohlenen Drohungen bezüglich des Fernsehkonsums in nächster Zeit gelingt es der Freundin doch, die Tochter zu überreden, in die Wanne zu steigen. Als sie eine Viertelstunde später ankündigt, nun sei es Zeit rauszukommen, brüllt die Tochter wieder: »WILLE ABER NICHT!«

Dieses »WILLE ABER NICHT!« ist der häufigste Satz, den die Tochter zurzeit sagt. Sie befindet sich nämlich in der Trotzphase. Und zwar ungefähr, seit der Sohn geboren wurde. Wahrscheinlich ist die Tochter ein wenig eifersüchtig auf ihren Bruder. Das lässt sie aber nie an ihm aus. Dafür an uns. Mehrmals täglich gibt sie uns zu verstehen, dass sie uns für die herzlosesten, ungerechtesten und hinterhältigsten Menschen der Welt hält, die sich bestenfalls als Diktatoren zentralasiatischer Scheindemokratien eignen, nicht aber als treusorgende Eltern, die sich liebevoll um ihre Erstgeborene kümmern und dieser jeden Wunsch von den Lippen ablesen.

Da die Freundin auch nach der Geburt des Sohnes als Erste von uns beiden die Elternzeit genommen hat, muss sie meistens die cholerischen Ausbrüche der Tochter ertragen. Insbesondere auf dem Heimweg von der Tagesmutter spielen sich Tag für Tag Tragödien ab, wie man sie allenfalls im Theater des antiken Griechenlands erleben konnte.

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