Sitze aufgeregt wie ein Teenager beim Tokio Hotel-Konzert mit der Freundin im Untersuchungszimmer der Frauenärztin und starre auf einen 12-Zoll-Monitor, auf dem sich eine erdnussförmige Figur bewegt. Haben es nun tatsächlich grobkörnig und schwarz auf weiß: Wir bekommen ein Baby! Um präzise zu sein, bekommt die Freundin das Baby.
Bringe ausschweifend und mit blumigen Worten mein Bedauern über meine pränatale Deprivation zum Ausdruck. Diese würde mir als Vertreter des männlichen Geschlechts die beglückende Erfahrung der Schwangerschaft und die damit einhergehende enge physisch-hormonelle Bindung mit dem Kinde vorenthalten.
Bin tatsächlich insgeheim froh, in den nächsten Monaten nicht von Übelkeit und Wassereinlagerungen gepeinigt zu werden. Auch das unvermeidliche Vorstoßen des Körperumfangs in Günter-Stracksche Dimensionen erscheint mir wenig erquicklich. Bei der Entbindung etwas vom Umfang einer Honigmelone durch eine nadelöhrgroße Öffnung zu pressen, scheint mir ebenfalls ein Erlebnis zu sein, auf das ich gerne verzichten kann. Behalte diese Gedanken aber lieber für mich, um das Bild des progressiven modernen werdenden Vaters zu pflegen.
Sinniere auf dem Heimweg darüber, ob wir einen Jungen oder ein Mädchen bekommen. Erkläre der Freundin, dies sei mir im Prinzip egal, Hauptsache dem Kind geht es gut. Außerdem soll es ein freundliches Wesen haben sowie hilfsbereit und einfühlsam sein. Intelligent und hübsch wäre auch nicht schlecht. Immerhin zwei nicht ganz unwichtige Faktoren für späteren beruflichen Erfolg. Zumindest das Aussehen. Wissenschaftliche Studien belegen ja immer wieder, dass gutaussehende Menschen in der Arbeitswelt erfolgreicher sind als hässliche Zeitgenossen. Wobei mir bei dem Beispiel Helmut Kohls allerdings große Zweifel kommen, ob Intellekt und Schönheit tatsächlich in einem proportionalen Verhältnis zu Erfolg stehen.
Auch bei Vorständen von DAX-Unternehmen ist der Zusammenhang von Aussehen und beruflichem Aufstieg auf den ersten Blick nicht ersichtlich. Da mehr als 95 Prozent der DAX-Vorstände männlich sind, scheint der Penis ein weitaus wichtigerer Erfolgsfaktor für die Karriere zu sein. Wenngleich dieser Zusammenhang nicht unmittelbar einleuchtet, da doch das primäre männliche Geschlechtsorgan den Gehirnen seiner Träger mehrmals täglich erigierenderweise das Blut entzieht. Das sind wahrscheinlich die Momente, wenn Männer die Entscheidung treffen, dass sich das Boot schon auf dem richtigen Kurs befinden wird und der Eisberg weit genug entfernt ist.
Lasse mich dennoch zu der Bemerkung hinreißen, dass es mit Hinblick auf unsere eigene soziale Absicherung im Alter durch finanzielle Zuwendungen unseres Nachwuchses von Vorteil sein könnte, wenn wir einen Sohn bekämen. Entnehme dem entgeisterten Gesichtsausdruck der Freundin, dass ihr ob meiner konfusen Gedankengänge das Geschlecht unseres Kindes herzlich egal ist, so lange sich die mütterlichen Gene dominant-rezessiv vererben.
Aber beruflicher Erfolg ist ohnehin relativ. Unser Kind soll einfach zufrieden sein mit dem, was es später macht. Und was kann erfüllender sein, als beispielsweise für die Entdeckung eines Heilmittels gegen alle bekannten und unbekannten Krebsarten den Medizin-Nobelpreis zu bekommen? Außer vielleicht mit einem Oscar für die beste Hauptrolle ausgezeichnet zu werden. Oder im WM-Finale in der Nachspielzeit das entscheidende Tor zu schießen. Frage die Freundin, ob wir nicht schon einmal nach Schauspielschulen und Sportvereinen für hochbegabte Kinder suchen sollten. Sie gibt mir zu verstehen, dass dies mit Hinblick auf mein mangelndes kreatives und sportliches Talent vollkommen unnötig sei.
Komme nach weiterem Nachdenken zu dem Schluss, dass es eigentlich nicht wichtig ist, wie erfolgreich das Kind mal wird, wenn es sich später nur daran erinnert, dass die Eltern zu achten und zu ehren sind und es nicht opportun ist, die dementen und inkontinenten Eltern in ein drittklassiges Altersheim abzuschieben. Stattdessen ist es Ausdruck der Ehrerbietung gegenüber den Eltern, für deren Betreuung eine attraktive, gut ausgebildete und ebenso gut gebaute osteuropäische Altenpflegerin zu engagieren. Schlage der Freundin vor, dass wir das am besten testamentarisch festhalten. Schließe aus ihrem parkinsonhaften Kopfschütteln, dass sie wahrscheinlich gerade über die Vorzüge des alleinigen Sorgerechts nachdenkt. Wer könnte es ihr verdenken?
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
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